: Mit der RAF verhandeln
■ In der deutschen Politik muß weiter nach einer zivilen Lösung gesucht werden KOMMENTARE
Seit fast zwei Jahren hat die Bundesregierung ihre eiserne Doktrin, mit den „terroristischen Gewalttätern“ der RAF unter keinen Umständen zu verhandeln, aufgegeben. Um es in der Sprache ihrer eigenen Propaganda zu sagen: Der Staat hat sich erpressen lassen — zunächst, als während des Hungerstreiks im Frühjahr 1989 den RAF-Aktivisten die Zusammenlegung der Gefangenen für den Verzicht auf eine Befreiungsaktion in Aussicht gestellt werden sollte. Dann, als auch nach den Mordanschlägen auf Alfred Herrhausen und Hans Neusel die Verhandlungsinitiative in erweiterter Form weiterging.
Niemand, der die blutrünstige Form der Auseinandersetzung zwischen RAF und Staat für anachronistisch hält, wird die jetzt aufgedeckte pragmatische Suche nach einer zivilen Lösung ernsthaft verdammen. Es kann dabei weiß Gott nicht um eine politische Annäherung zwischen der CDU-geführten Regierung und den (selbsternannten) antiimperialistischen Kämpfern der RAF gehen. Eine solche Vorstellung wäre schlicht absurd. Verhandelt werden soll allein die Form der Konfrontation zwischen Staat und RAF, nichts weiter. Es geht um das Ende des Mordens und Sterbens.
Dennoch bleibt angesichts dieses ersten staatlichen Versuchs einer politischen Lösung ein ausgesprochen fader Beigeschmack. Schließlich wurde während des letzten Hungerstreiks der RAF-Häftlinge jeder unter ein rhetorisches Trommelfeuer der Bonner Regierungsparteien genommen und der Komplizenschaft mit den Kämpfern der RAF bezichtigt, der angesichts des drohenden Todes einiger Gefangener genau das verlangte, was das Bundeskabinett insgeheim auf den Weg brachte: Eine Verhandlungslösung. Und man stelle sich einmal vor, eine SPD-geführte Regierung, womöglich eine rot-grüne würde das gleiche tun. Ihre Tage wären — zu dieser Annahme bedarf es nur wenig Phantasie — nach der Veröffentlichung derartiger Aktivitäten gezählt.
Das Verhandlungssignal aus Bonn ist bei den Adressaten angekommen. Die RAF verlangt als notwendige Voraussetzung für Gespräche mit den Abgesandten der Bundesregierung — und dabei wird es dann um die Modalitäten zur Beendigung des bewaffneten Kampfes gehen — die Zusammenlegung ihrer inhaftierten GenossInnen. Damit ist die Initiative nicht gestorben, bevor sie richtig in Gang gekommen ist. Im Gegenteil: Die Antwort der RAF könnte den Anfang vom Ende dieses endlosen Zermürbungskrieges zwischen einigen Desperados und einem aufgeblähten Sicherheitsapparat markieren. Vorausgesetzt die Initiatoren auf der politischen Ebene treten jetzt nicht den Rückzug an. Dazu besteht kein Anlaß. Die Bundesregierung sitzt so sicher im Sattel, wie wohl keine vor ihr. Was also, außer der Angst vor der eigenen Courage, soll sie hindern, am einmal eingeschlagenen Kurs festzuhalten? Außerdem haben die versprengten Reste der RAF zur Genüge bewiesen, daß ihre Kraft für ein oder zwei tödliche Anschläge pro Jahr allemal ausreicht. Fahndungserfolge gibt es seit bald zehn Jahren nicht.
In dieser Situation findet sich kein vernünftiger Grund, die Zusammenlegung der Gefangenen nicht endlich auszuprobieren. Wenn dann trotzdem die nächste Bombe hochgeht, muß der Versuch als gescheitert gelten — und das wissen alle Beteiligten. Gerd Rosenkranz
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