piwik no script img

Mit der Partei nach Afrika

■ Filme von Andreas Dresen und Jens Becker im Babylon Ost

Dem Fall der DDR zum Trotz zeigt das »Filmkunsthaus Babylon« drei Filme der Babelsberger Hochschulproduktion 1989/90, die DDR-Erfahrung thematisieren. Sie stellen keinen Querschnitt der in dieser Zeit zahlreich entstandenen Filme dar, zeigen jedoch, wie verschieden ein Regiejahrgang auf das »Stoffangebot DDR« zwischen Herbst vor und Herbst nach »neuer« Zeitrechnung reagiert hat. Die Regisseure Andreas Dresen (Zug in die Ferne, 1989; Jenseits von Klein Wanzleben, Dokumentarfilm 1989) und Jens Becker (Grönland, 1990) haben, so scheint es, verschiedene Ufer ein und desselben Flusses gewählt. Wo Dresen trotz aller Polemik Sympathien für seine Protagonisten aufbringt, läßt Becker ihnen keinen Millimeter einer Chance, sich zu rehabilitieren. Er rechnet ab und setzt einen Alptraum in Szene. Kalt, kälter, am kältesten.

Zug in die Ferne entstand im Oktober vergangenen Jahres. Der Fall der Mauer war da noch jenseits aller Vorstellungskraft. Ort des Geschehens ist ein trostloser Provinzbahnhof. Sechs Personen warten auf den Anschlußzug zum Hauptbahnhof. Die Gleise werden frei gehalten für die Durchfahrt des Transitzugs nach Paris. Jeder wartet für sich allein. Bis auf einen, der träumt.

Fernweh und Abenteuer waren auch schon Motive für jene FDJ-Brigaden, die solidarisch gemeinte Ausbildungsprojekte im NSW-Ausland (NSW = nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet) realisierten. Jenseits von Klein Wanzleben ist ein Dokumentarfilm über eine dieser Brigaden in Simbabwe, die junge Afrikaner für Bauberufe ausbildet. Klar und ungebrochen die Antwort des Brigadiers auf die Frage, wie man denn nach Simbabwe kommt: »Na, über die Bezirksparteischule...« Die eigenen Gewohnheiten überstehen selbst Tausende Flugkilometer. So entsteht die paradoxe Situation einer Schrankwandfestung mit Zubehör: Rüschenschürze, exakt gekeilte Kissen und Klopapier für dreißig Pfennig mitten im afrikanischen Busch. Nur eine DDR-Erfahrung?

In Grönland verzichtet die Regie beim Szenenbild konsequent auf DDR-Realität, um die Klischees, die bewußt inszeniert sind, nicht kleinlich geraten zu lassen. Kinowirksam schöpft Jens Becker aus dem amerikanischen Gangsterfilm der dreißiger und vierziger Jahre. Herr Ypsilon, Professor Zetts bestes Pferd im Apparat und Mitglied des »Verbandes der freiwilligen Konsumverweigerer«, erfährt einen Karriereknick. Das Kabinett der Buckligen hat ihm den Grönlandauftrag entzogen, weil er mit der »Union der Konsumenten« sympathisiert hat. In die Schweiz darf er aber. Von dort zurückgekehrt, findet er nichts mehr vor, wie es war. Oder? Eine Revolution hat stattgefunden, sagt man. Zett wurde geopfert, Ypsilon bekommt Macht im »neuen« Apparat, um zu schweigen. Derweil werden Schreibtische gerückt und Akten verbrannt. Bäumchen wechsle dich... »Wir haben versucht, Verzweiflung mit Ironie zu brechen«, meint der Regisseur. Ironie braucht Abstand zu den Ereignissen. Wer den hat, wird den Film mögen. Kerstin Süske

Zug in die Ferne, Jenseits von Klein Wanzleben und Grönland am Sonntag, den 21.10. um 19 Uhr im Babylon Ost, Rosa-Luxemburg- Platz, Berlin 1020.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen