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Mit dem Dolch auf der Redaktionskonferenz

Das ganze Jahr über melden sich im taz-Haus in der Kochstraße Verirrte, Verwirrte und Verrückte. Die einen werden von Ultraschall-Ladungen aus einer Höllenmaschine beschossen, die andern beim Fleischer betrogen  ■ Erlebt von Barbara Bollwahn

Montag morgen vor der Konferenz. Die Redaktion ist fast leer. Plötzlich wird die Tür mit einer Wucht aufgerissen, als sei es der Allmächtige selbst. Herein kommt ein wirr aussehender Mann, gehüllt in Dutzende von zerschlissenen Decken. Die Hände sind von unzähligen offenen Wunden übersät, um den Hals trägt er einen riesigen Fleischerhaken. „Ich verkünde die Gründung der Johanniterpartei!“ ruft er und wirbelt die speckige Deckentracht durch den Raum. „Wir haben dreißig Millionen Mitglieder“, verkündet er. „Dreißig Millionen Mitglieder?“ frage ich skeptisch, aber höflich, und denke: „Das wäre ja fast jeder dritte Deutsche. Haben wir wirklich so viele Verrückte im Land?“

„Glaubst du mir etwa nicht?“ donnert er mich an. „Setz dich hin und schreib!“ Mit einem respektierlichen Blick auf den Fleischerhaken beiße ich mir auf die Zunge und kritzele widerwillig etwas auf ein Stück Papier. Als er dann aber seine glimmende Zigarette in den randvollen Papierkorb wirft, habe ich endlich einen Grund, ihn zum Gehen aufzufordern. Das tut der Johanniter auch – allerdings erst nachdem er mich verflucht und für den Untergang der Welt verantwortlich gemacht hat.

Auch andere haben ein drängendes Anliegen. Mitten in einer Redaktionskonferenz im Sommer zum Thema französische Atomtests sprang ein kurdischer Besucher auf, zog zwei Krummdolche, fuchtelte wild mit ihnen herum und knallte sie auf den Tisch. „Wen interessiert denn Moruroa?“ schrie er und forderte: „Schreibt über Kurdistan!“ Schweigen in der Runde, vorsichtige Blicke zur Tür. Schließlich wurde das Thema auf „nach der Konferenz“ vertagt. Der Messermann war beruhigt.

Solche bedrohlichen Besuche sind freilich die Ausnahme. Insgesamt landen aber immer wieder die Verirrten, Verwirrten und Verrückten dieser Welt in der taz-Redaktion. Viele sind harmlos und wollen nur reden – meistens zehn Minuten vor Redaktionsschluß. Denn was ist die Ausgabe vom nächsten Tag im Vergleich zum vorgebrachten Skandal! Wie dieser zum Beispiel: Die alte Dame schnappte noch am Telefon hörbar nach Luft: „So eine Unverschämtheit“, preßte sie heraus. „Mit alten Leuten können sie es ja machen.“ Der Skandal, der sie so furchtbar aufregte: An der Wursttheke ihres Supermarktes werde sie regelmäßig betrogen, denn eine Verkäuferin wiege immer die Wurstpelle mit. Mit dem Argument „Das machen die bei mir auch immer“, war die Dame allerdings zu beschwichtigen.

Wenige Verwirrte machen es einem so leicht. Wie soll man einer Frau erklären, die mit einem etwa drei Kilo schweren Briefwechsel unterm Arm in der Redaktion steht, daß man sie zwar ernst nehme, ihr aber nicht glaube: „Meine Nachbarn trachten mir mit der chemischen Keule nach dem Leben“, wiederholte sie immer wieder und blickte sich ängstlich in der Redaktion um.

In einem ähnlichen Fall tauchte ein zitternder Mann auf und behauptete, sein Nachbar beschieße ihn regelmäßig mit Ultraschall- Ladungen aus einer Höllenmaschine. Auch er trug einen Packen Papier bei sich. Doch nicht einmal das Gutachten eines Ingenieur- Büros, das seine Wohnung ohne Ergebnis untersucht hatte, konnte ihn von seiner Idee abbringen.

Einfacher ist es, wenn Beschimpfungen und Beleidigungen in schriftlicher Form eingereicht werden. So ließ uns das letzte Jahr über eine Frau an ihrer umfangreichen Korrespondenz mit einem ihr ans Herz gewachsenen Staatsanwalt teilhaben. Seitenlang beschimpfte sie ihn als „Wichser“ und „Perversling“. Im Gegensatz zur taz warf die Staatsanwaltschaft die Pamphlete nicht in den Papierkorb, sondern antwortete regelmäßig mit der Bitte, derlei Beleidigungen zu unterlassen. Bisher ohne Erfolg.

Und auch die taz ist nicht vor Anfeindungen gefeit, wie zum Beispiel in allen denkbaren Varianten zum Thema Bild-Zeitung („Schlimmer als die Bild-Zeitung, linke Bild-Zeitung, da kann ich mir gleich die Bild kaufen“). Zwei Tage vor Weihnachten erreichte uns ein Brief von einem Gefangenen, der uns als „Grünkohl-Guevaras“ bezeichnete. Die taz sei wie ein „abgefahrener Reifen, der nicht mehr greift, weil er schlichtweg kein Profil mehr hat“. „Mit hirnlosem Galopp“ überrunde die taz die SPD. Sein Vorwurf: Die taz unternehme nichts gegen Menschenrechtsverletzungen im Knast. Was, wo und wie passiert war, verschwieg er allerdings. Zu guter Letzt wünschte uns der Anonymus einen „schönen, von unendlichen Schmerzen langsamen Tod“. Zur Illustration legte er eine Kopie eines grausligen Skeletts bei, das an den Ötzi erinnert.

Trost kommt aus unerwarteter Richtung: Kurz vor Jahreswechsel erreichte uns ein Brief vom Verband der Justizvollzugsbediensteten: Seit einem Urteil des Verfassungsgerichtes würden die Beamten von Gefangenen zunehmend „aufs schwerste beschimpft und beleidigt“. Das Gericht hatte entschieden, daß der Brief einer Frau an ihren inhaftierten Bruder, in dem sie Vollzugsbeamte als „Kretins, Schwachsinnige“ beschimpfte, „die auf Beförderung geil sind oder ganz einfach Perverse sind“, mit der freien Meinungsäußerung vereinbar sei. Ihre Beschwerden, so die Justizbediensteten, würden seitdem ignoriert. Begründung: „Im Rahmen eines sozialpädagogischen Prozesses müsse man mit Beleidigungen und Beschimpfungen leben.“

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