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Mit allen Wassern getauft

■ Musiktheater um die Wiedertäufer in Münster

Münsters Prinzipalmarkt wird in der Touristikwerbung gern als „gute Stube“ der Stadt verkauft. Doch wo heute exklusives Gewerbe um die Gunst der betuchten Kundschaft buhlt, tobte vier Jahrhunderte zuvor die Revolution. Nur drei Käfige hoch oben am Turm der gotischen Lambertikirche erinnerten hier bislang an Münsters Täufer.

Jetzt auch noch eine Oper. Der italienische Komponist Azio Corghi und der portugiesische Schriftsteller José Salamago nannten ihr Auftragswerk zum 1.200jährigen Stadtgeburtstag „Divara – Wasser und Blut“. Der pathetische Untertitel ließ für die von Gast Dietrich Hilsdorf inszenierte Uraufführung in Münsters Städtischen Bühnen Schlimmes befürchten, doch wurde man auf das gelungenste enttäuscht. Schließlich hatte Giacomi Meyerbeer schon 1849 mit dem „Prophet“ die romantische Cinemascope-Version der Story rund um Jan van Leiden geliefert. Im Mittelpunkt des Remakes stand dagegen seine Frau Divara. Ein Perspektivenwechsel mit auch musikalischen Folgen: Von unten aus gesehen ist Geschichte keine „Grande Opéra“, sondern ein Drama mit hohem Einsatz und ungewissem Ausgang.

Da konnte man es fast als einen Akt der Wiedergutmachung deuten, daß Corghi nur den Frauen das gestattet, was an einer Oper nun mal das Wichtigste ist: Gesang. Männer predigten und brüllten, schwafelten oder psalmodierten – das aber so, daß man zuhörte. Denn obwohl Corghi ein mit allen Wassern gewaschener Avantgardist ist, macht er Oper für die Bühne, nicht für die Ewigkeit.

So wußte man vom ersten Takt an, was einem bevorstand. Der fiel mitten ins Geplapper des Premierenpublikums: Münsters Generalmusikdirektor Will Humburg und sein Orchester bekamen nicht einmal den obligaten Begrüßungsapplaus. Statt dessen ein Prolog, wenn auch nicht im Himmel: Fahles Neonlicht, Geigenflirren und dumpf dröhnendes Baß-„Halleluja“ aus den ringsum verteilten Lautsprechern wurden nur von kurzen, abgehackten Schreien des Chores durchschnitten. Der saß im Parkett, keine BesucherIn sollte sich entspannt im Sessel zurücklehnen. Eine Collage konnte beginnen, die mit Musik nicht auf den historischen Bilderbogen, sondern auf die Wahrheit hinter den Fakten zielte.

Ähnlich unverkrampft überwand Hilsdorf die zeitliche Distanz. Der Theologendisput wird zur „Bonner Runde“ in Schlips und Kragen, die Domherren werden vom Schwarzen Block als Geiseln genommen. Doch darauf folgte feldgrau-zeitloses Elend, zunächst überstrahlt vom Eifer der frisch Bekehrten, die Christopher Krieg als ekstatischem Guru Jan van Leiden rhythmisch zujubeln. Alle Revolution findet wie nebenbei statt, der berühmte Bildersturm in anderthalb Takten Blechbläsergetümmel. Die Erwachsenentaufe, deretwegen man die Täufer Wiedertäufer nannte und Ketzer schimpfte, begleitet das enorm engagierte Orchester mit einer irrisierenden Wassermusik von hohem Bedrohungspotential. Kein Wunder, daß bald die kleine Trommel schon zum letzten Gefecht ruft, für das sich der Chor in Militant-Moll einstimmt.

Und Divara? Susanna von der Burg kann nur zuschauen, mahnen – und berückend schön singen. Die Frauenunterdrückung durch Polygamie verhindert sie genauso wenig wie die Hinrichtung der aufsässigen Else (Suzanne McLeod), mit der sie sich – es ist eine Oper – zum resigniert-melancholischen Todesduett vereint. Als Anarchie in Despotie umkippt, van Leiden sich zum König krönen läßt, zitieren Corghi und Salamago den Prolog – es ist der Anfang vom Ende. David Midboe als fettes Bischofsekel Waldeck macht sie alle nieder.

Die Leichen von van Leiden und zwei weiteren Täufern wurden damals zur Abschreckung an den Kirchturm gehängt. „Divara“ ist ein würdiges, weil schonungsloses Gedenken. Das spürte auch das ausverkaufte Haus. Stefan Walter

Nächste Aufführungen: 27.11., 20 Uhr, 28.11., 19 Uhr. Weitere Infos unter 0251-5909100.

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