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Mit Zuckerwasser gegen Graffitikunst

■ Uni Göttingen erprobt neues Naturheilmittel gegen die Lackfarben der Sprayer

Wandsprüche wie „Birne halt's Maul sonst gibt's Banane“ oder „Tausche lila Latzhose gegen schwarze Strapse“ werden bald nur noch zur Kunst für den Augenblick. Was Textmissionare an Botschaften für die Ewigkeit ansprühten, wird bald der nächste Regen abwaschen. Dort, wo den Sprühtexten bisher mit ätzenden Farblösern, Übermalungen oder sogar Schleifmaschinen zu Leibe gerückt werden mußte, soll jetzt Zuckerwasser helfen.

„PSS 20“ heißt das Wundermittel eines schwedischen Herstellers, dem die Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung in Berlin eine wirksame Schutzfunktion gegen Schmuddelkunst bescheinigt hat. Die kaum mehr als einprozentige Spezialzuckerlösung wird dünn auf die Mauern aufgestrichen oder gespritzt und nach dem Sprühanschlag einfach zusammen mit den Texten mit Wasser und Seife abgewaschen. Danach muß der schützende Filmüberzug erneuert werden, damit er für die nächste Message in Lackschrift wieder als Träger dienen kann. An den Universitätsgebäuden wird das nach Angaben des Leiters des Staatshochbauamtes Göttingen, Horst Kromschröder, „völlig ungiftige und natürlich abbaubare“ Gemisch in der Praxis getestet.

„Wir müssen ja immer Angst haben, daß besonders an den Marmorfassaden der Neubauten oder den angestrichenen historischen Häusern durch das ständige Übermalen oder Abbeizen mit scharfen Lösungsmitteln Dauerschäden entstehen. Betonwände können wir einfach überstreichen, aber wenn wir eine Marmorfassade reinigen, rauhen wir jedesmal die Oberfläche des Natursteines stärker auf und programmieren damit den Verfall“, erklärt Kromschröder. Auch wild angeklebte Plakate ließen sich wesentlich leichter entfernen, wenn die Wände vorher mit dem Mittel geschützt waren.

„Grundsätzlich ist ja gegen dieses Mitteilungsbedürfnis unserer Generation nichts einzuwenden“, meint der Leiter des Staatshochbauamtes. „Auch nicht, wenn eine anonyme Täterschaft einen anonymen Kreis aus der Bevölkerung seine Meinung nennt oder auf Probleme aufmerksam macht. Das ist eine Ausdrucksform unserer Zeit, die wir nicht mit Beamtenstrenge verfolgen sollten.“ Konflikte gäbe es aber immer da, wo die Substanz der Gebäude geschädigt werde.

Um die Graffitis von Göttinger Staatsbauten zu entfernen, müssen jedes Jahr mehrere 10 000 Mark ausgegeben werden. Zuerst werden jetzt in Göttingen die Marmorfassaden rund um den Campus gestrichen. 35 000 Mark seien dafür vorgesehen. Gleichzeitig sollen auch noch andere „Abwehrmechanismen“ erprobt werden. „Wir werden, wo es möglich ist, stachelige Bodenbedecker vor den Mauern pflanzen und Plakattafeln aufstellen, auf denen jeder seine freie Meinung äußern kann.“ Die Stadtverwaltung habe noch eine andere Idee gehabt und einen Fußgängertunnel zum Bahnhof für Graffitisprayer zur Verfügung gestellt. dpa

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