: Mit Überstundenbegrenzung Arbeitslosigkeit abbauen
Gesetzentwürfe von Grünen und SPD stehen morgen im Bundestag zur Debatte / Gleichberechtigung war Grünen wichtiger als volle Aufrechterhaltung geschlechtsspezifischer Schutzrechte / Hausarbeitstag für alle gefordert / SPD besteht auf Nachtarbeitsverbot für Frauen ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Die Vorstellung ist einladend: Mal ein Jahr nach Südamerika verschwinden mit dem garantierten Arbeitsplatz im Rücken, sich öfter der Bürgerinitiative widmen und dafür im Büro einfach „Tschüß“ sagen, oder ein, zwei Jährchen für das Kind zu Hause bleiben und dabei fast genauso viel verdienen... Ein Stück konkreter Utopie, wie Arbeit und Leben auch unter kapitalistischen Bedingungen menschenfreundlicher organisiert werden können und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, will der Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes der grünen Bundestagsfraktion darstellen.Er wird wie die Entwürfe der Regierung und der SPD am Freitag im Bundestag vorgestellt.
Im Mittelpunkt des grünen Konzepts stehen zwei Überlegungen: Die Erwerbsarbeit quantitativ anders zu verteilen und gleichzeitig den Begriff von Arbeit auf solche gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten auszudehnen, die nicht erwerbswirtschaftlich organisiert sind. Konkret heißt das: Drastische Reduzierung der zulässigen Überstunden auf zwei pro Woche, die durch Freizeit abgegolten werden müssen. Da gegenwärtig rund ein Drittel der Beschäftigten regelmäßig mit sechs Überstunden pro Woche ranklotzt und dies etwa 1,2 Millionen Arbeitsplätzen entspricht, könnten bei Realisierung der Grünen-Vorstellungen mehrere Hunderttausend Arbeitslose eingestellt werden. Die gleichmäßige Verteilung sowohl der Erwerbsarbeit als auch der Nichterwerbsarbeit auf beide Geschlechter wollen die Grünen durch einen Katalog von Freistellungen erreichen:
– vom Arbeitgeber bezahlte Freistellung an bis zu 20 Tagen im Jahr für Bildung, gesellschaftspolitische Tätigkeit oder einen Hausarbeitstag.
– unbezahlte Freistellung zur persönlichen Verfügung für ein Jahr innerhalb von sechs Arbeitsjahren.
– Freistellung zur Betreuung Pflegebedürftiger daheim, bezahlt zunächst vom Arbeitgeber, dann von der Krankenkasse.Staatlicher Lohnersatz für gemeinnützige Arbeit von vier Stunden wöchentlich.
– Freistellung zur Kinderbetreuung für bis zu drei Jahre, bezahlt vom Staat mit 90 Prozent des Nettoverdienstes, allerdings höchstens 2000 Mark.
Bei der Kinderbetreuung hat die grüne Utopie allerdings einen Knacks bekommen: Wurde im ersten Entwurf des Arbeitszeitgesetzes 1984 für die volle Ausschöpfung der drei Jahre noch zur Auflage gemacht, daß sich zusammenlebende Eltern die Zeit teilen müssen, hat sich mittlerweile der Liberalismus gegen den Feminismus durchgesetzt – ob auch der meist besserverdienende Papa Hausmann spielt, wollen die Grünen jetzt dem familieninternen Kräfteverhältnis überlassen. Die Änderung stieß bei Teilen der grünen Frauen auf scharfe Kritik.
Nach den Berechnungen der Grünen lassen sich die Freistellungen, die beschäftigungspolitisch mit 600.000 weniger Ar beitslosen zu Buche schlagen würden, gesamtwirtschaftlich durchaus finanzieren: Durch die Senkung der gesellschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit, durch die Umschichtung des bisherigen Familienausgleichs zur Finanzierung des Kinderbetreuungsgeldes und durch drei Prozent mehr Lohnkosten für die Betriebe.
Die Sozialdemokraten halten sich mit ihrem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes – mittlerweile der siebte Anlauf – im Rahmen des traditionellen Arbeitsbegriffs. Sie begrenzen die wöchentliche Arbeitszeit auf maximal 44 Stunden und greifen, ähnlich wie die Grünen, die gewerkschaftliche Kritik an der zunehmenden Samstagsarbeit auf, in dem die Regelarbeitszeit auf Montag bis Freitag festgelegt wird.Bemerkenswert unterschiedlich sind die beiden oppositionellen Gesetzentwürfe beim besonderen Arbeitsschutz für Frauen: Die SPD hält am generellen Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen fest und auch am traditionellen Beschäftigungsverbot für Frauen unter anderem im Bergbau unter Tage und in Hochofen- und Stahlwerken. Im Bauhauptgewerbe sollen Frauen nur nach einer Gesundheitsuntersuchung arbeiten dürfen.Die Notwendigkeit der geschlechtsspezifischen Beschränkungen, deren Für und Wider in der Frauenbewegung bislang kontrovers diskutiert wurde, begründen die SozialdemokratInnen so: Nachtarbeit sei zwar auch für Männer schädlich, aber dem Ausmaß nächtlicher Arbeit könne mit einem generellen Verbot nicht mehr begegnet werden, also soll sie nicht auch noch für Frauen zunehmen. In Stahlwerken und Metallhütten würden Gifte, so der SPD-Entwurf wörtlich, „das werdende Leben schädigen“, im Baugewerbe werden „gesundheitlich nachteilige Lageveränderungen des weiblichen Beckens“ befürchtet.
Die Grünen wollen dagegen die Nachtarbeit statt nur für Arbeiterinnen für alle Männer und Frauen mit wenigen Ausnahmen untersagen und haben die Beschäftigungsverbote generell verworfen: „Vor die Alternative gestellt, eine selektive Schutzmaßnahme aufrechtzuerhalten und damit geschlechtsspezifische Diskriminierung zu verfestigen, oder aber die Schutzmaßnahme auf wenn auch niedrigerem Niveau zu verallgemeinern und dadurch einen erheblichen Diskriminierungsfaktor abzubauen“, haben sich die Grünen für letzteres entschieden.
Apropos geschlechtsspezifisch: Den Hausarbeitstag, den die Grünen jetzt für alle wollen, gab es in einigen Bundesländern bereits einmal, allerdings wurde er durch ein BVG-Urteil außer Kraft gesetzt, weil er nur für Frauen galt. Die Bundesregierung will ihn jetzt endgültig abschaffen, denn „die Hausarbeit ist durch moderne technische Haushaltsgeräte erheblich erleichtert worden“, wußten die gesetzschreibenden Männer. Und: Die damaligen Voraussetzungen, daß die Frauen „wegen häuslicher Pflichten nicht voll einsatzfähig waren“, sind „inzwischen weggefallen“. Stimmt das, Frau Süßmuth?
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