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Mit „Strip“ voll angezogen in die Freiheit

Nach der Reunion oft blitzschnell ausverkauft: Heute gibts noch Karten für „The Chameleons“  ■ Von Karen Schulz

Mit dem Phänomen des Nachruhms haben KünstlerInnen aller Sparten zu kämpfen. In vergangenen Jahrhunderten konnten diejenigen, die später Musikgenies genannt wurden, meist von ihren Erfolgen bloß träumen, während heutzutage manche MusikerInnen späte Lorbeeren nach Auflösung ihrer Band noch erleben dürfen – mit Ausnahme derjenigen natürlich, die sich vorher den Kopf wegpusten.

Eine in dieser Hinsicht eher grotesk anmutende Bandgeschichte haben The Chameleons vorzuweisen: Als die Band aus Manchester 1983 ihr DebütalbumScript Of The Bridge veröffentlichte, ließ der Erfolg nicht auf sich warten: Der dunkle, atmosphärische Waverock traf musikalisch wie inhaltlich den Zeitgeschmack. So sehr Titel wie „Don't Fall, Monkeyland“ oder „Second Skin“ in die 80er Jahre passten und gehörten, war darunter jedoch kein Top-Ten-Hit für die Band, die musikalisch nie so richtig aus dem Underground herauskommen wollte.

Das nachfolgende Album What Does Anything Mean? Basically präsentierte sich 1985 zwar etwas weniger dunkel, doch blieb die Band ihrem Stil treu. Dito beim folgenden Album Strange Times, mit dem der Sprung zum Majorlabel und auch in den USA geschafft war. Doch gerade dieser Erfolg führte für Mark Burgess, Reg Smithies, Dave Fielding und John Lever zu Spannungen und 1986 zum Ende der Chameleons.

Und damit trat das Phänomen des Nachruhms ein: In den folgenden 14 Jahren erschienen mehr Chameleons-Alben als zu Bandzeiten: Life-Mitschnitte, Boot-legs, die unvermeidliche Peel-Session und dergleichen mehr. Die Fans haben Burgess, Smithies, Fielding und Lever eisern die Treue. Und diejenigen Musikjournalisten, die mit den Fans um die Chameleons und ihren die Musikszene bereichernden Sound trauerten, haben vielen wiederholt aus dem Herzen gesprochen, wenn sie die vier Musiker in Interviews zu deren nachfolgenden Formationen (unter anderem The Reegs, The Sun and The Moon, Invincible) mit nostalgischen Ausflügen zu den Chameleons mit Fragen gelöchert haben, wann es denn endlich ein Revival gäbe. Die stets negativen Antworten schwächten den Wunsch nach und nach ab, und letztlich glaubte niemand mehr an ein Reunion – 14 Jahre sind eine lange Zeit.

Als die vier Musiker zu Beginn dieses Jahres dann ihre Animositäten überwunden und die Chameleons in Originalbesetzung wieder formiert hatten, gab es daher nach anfänglichem Unglauben für viele Grund zum Jubel. Doch zugleich Anlass zu der Frage, ob sich etwa auch diese Band dem grassierenden 80er-Revival anschlösse, um schnell Geld zu scheffeln und anschließend womöglich sofort wieder in der Versenkung zu verschwinden – zu viele Bands der 80er bieten derzeit ein solch schlechtes Beispiel und überflüssigen Sound.

Doch keine Sorge: Nach den ersten Gigs in einem kleinen Club im Mai in Nordengland, aus denen fünf blitzschnell ausverkaufte Abende wurden, und dem anschließend erschienenen Album Strip ist klar: Wie früher steht bei den Chameleons die Musik im Mittelpunkt. Strip bietet neben unplugged-Versionen von Chameleons-Klassikern wie „Soul in Isolation“ zwei neue Stücke und zeigt, dass es hier nicht um einen Aufguss geht, sondern dass eine Weiterentwicklung stattgefunden hat: The Chameleons in Bestform, brillant und magisch wie früher und doch neu.

Nach weiteren furiosen Konzerten in Manchester und London im Sommer ist die für ihre eindrucksvollen Life-Auftritte bekannte Band nun auf Tour. In Hamburg werden sie von The Convent unterstützt, einer ähnlich atmosphärisch klingenden Formation: eine sehr passende Mischung auch deshalb, weil The Convent in der Vergangenheit bereits mit Mark Burgess zusammengearbeitet haben.

Wenn die Chameleons anschließend ins Studio gehen, um ihre Fans im nächsten Jahr mit einem neuen Album zu beglücken, bleibt nur zu hoffen, dass die Gratwanderung zwischen Underground und Erfolg diesmal gelingt – und nicht nach drei weiteren Alben und Jahren erneut Schluss sein wird.

heute, 20 Uhr, Große Freiheit

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