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Mit Fränkie auf dem Sofa

Wiedersehen macht Freude: Warum der Schlagersänger Frank Schöbel seine Autobiographie „Frank und frei“ und nicht „Frank und blöd“ nannte, macht er seinem Leser unter vier Augen klar

von ANKE WESTPHAL

Die Arbeiterpaläste an der Karl-Marx-Allee wesen vor sich hin. Draußen, am Strausberger Platz, fährt ein LKW der Firma „Interbett“ vorbei. „Interbett“, „Gräberland“, „Erlebnis-Ei“: Der neuen Zeit mangelt es nicht an kabarettistischen Qualitäten. Frank Schöbel ist jetzt 57 Jahre alt. Seine hellbraunen Locken indes sitzen (und sollen sogar Natur sein), seine Augen bläuen frontal auf die kritischen Punkte des Gegenübers, und die Zähne blitzen wie ehedem. 1959 stellte Onkel Herbert dem mählich zum Manne reifenden Frank die entscheidende Frage: „ ‚Willst du ein Leben lang halb sieben zur Arbeit gehen und halb, um fünf nach Hause kommen?‘ ‚O nee‘, sagte ich. ‚Das Leben soll interessant sein, immer voller Überraschungen.‘ “ Das Phänomen Frank entsprang einer hochmusikalischen Familie Schöbel. Dennoch wollte Frank-Lothar erst Wetterfrosch und später Kameramann werden. Schließlich fand sich eine Lehrstelle als Mechaniker für Medizintechnik. „Ordnung, Sauberkeit: 1.“

Seine schöne Stimme ließ sich auf Dauer nicht privatisieren. Zum Führen eines Sängerdaseins hatte man in der DDR einen Berufsausweis vorzuweisen. Der aufgeregte Schöbel fiel zweimal durch die Prüfung. 1964, beim dritten Mal, wurde er gewissermaßen bestanden – die DDR brauchte den Mann, was Schöbel nicht unrecht war. Was der „Zonen-Elvis“ in seiner Autobiographie „Frank und frei“ über seine Anfänge beim Vortragen sozialistischer Aufbau-Schlager schreibt, braucht keinen Staatskontext, um gültig zu bleiben: „ . . . ich Idiot habe das auch noch gesungen. Das muss ich so nett gemacht haben, dass keiner merkte, was für ein Müll das war.“

Die schöbelsche Synthese aus entwaffnender Offenheit und fröhlichem Narzissmus sollte sich wirkungsvoll verfestigen. Das Publikum zieht mit und trägt auf mancherlei Art bei zur guten Laune des Stars, durch Abklatschen, Mitsingen, Anhimmeln und Fanpost: „Ich habe viele Sendungen gesehen, wo Sie mitgewürgt haben.“ Ein Mann schreibt: „Ich würde später mal gerne Schlagersängerin werden, so wie Du.“ Schlagersängerin? Der Soundtrack zu „Coming Out“, Heiner Carows Film über DDR-Schwule, enthält zwei Schöbel-Schlager. Nun ist Frank Schöbel, so sagt er, aber nicht schwul. Selbst das Gerücht sei ihm neu. „Ich will ja keinen enttäuschen, aber allen kann ich es nun wirklich nicht recht machen“, amüsiert er sich. Cool, der Mann. Schöbel mag es, dass Schwule ihn mögen. Aber – es täte ihm Leid. Er hofft, alle Schwulen verzeihen ihm. Als Chris Doerk und Frank Schöbel sich 1974 scheiden lassen, sehen Lehrerinnen sich außerstande zu unterrichten, und Schulklassen drohen, „an Honecker zu schreiben“. Die Frau nach Chris heißt Aurora Lacasa und gibt – für DDR-Verhältnisse exotisch – die eigene Karriere als Sängerin gern auf, um den Haushalt zu schmeißen. Zum Sohn aus der Ehe mit Chris gesellen sich zwei Töchter.

Im Nachhinein hält man für Quatsch, dass der frühe Schöbel als „Zonen-Elvis“ gehandelt wurde. Mit Presley hat es Frank-Lothar, der den Lothar auf Verlangen seiner Förderer ablegt, nicht so, eher mit den Beatles und mit Cliff Richard, „weil der technisch, stimmlich eben so perfekt war“. „Zonen-Cliff“ klingt jedoch nicht mal theoretisch besonders gut. Das Schöbel-Image ist zum Glück nicht so ganz flexibel. Ganz zu Anfang will man Kumpel „Fränkie“ („alte Hacke!“) noch auf Ost-Sinatra tunen. Das „war nicht meine Musik, ziemlich schwer, passte gar nicht zu mir“. Zwischen „Taktapplaus“ und „Popularitätszuschlag“, sprich höherer Gage, saugt Schöbel die Sonnyboyrolle auf wie Löschpapier die Flüssigkeit. Er findet, dass sein Image wesentlichen Zügen seiner Persönlichkeit entspricht, und wo nicht, kann er sich abfinden.

„Ich sollte vor allem ‚nur‘ ich selber sein: frisch, hepp, immer da, und manchmal auch ein bisschen auf doof machen.“ Das liegt dem gebürtigen Leipziger; darüber macht er sich bis heute keine Illusionen. Dooftun und Simpel-Attitüde haben Schöbel mitunter geholfen, bei Aushorchmanövern und Anwerbegesprächen. „Sch. kann teilweise geistig nicht folgen“, notiert die Stasiakte. „Ja, ich bin doof, besser so“, resümiert Schöbel gut zwanzig Jahre später und nicht ohne Zynismus.

Die starke Affirmativität zu denen da unten, zum Publikum, äußert Schöbel auch in einer sehr dicken Autobiographie, deren Umfang er selbst „abschreckend“ findet. Das Buch erzählt von einem Leben moderater Angepasstheit. „Frank und frei“, die Rückschau des Unterhaltungskünstlers Schöbel, ist so entschlossen humoristisch, dass es für den Leser manchmal schwierig wird: Wie hält man diese Lustigkeit nur durch? Was für ein Schelm ist dieser Frank-Lothar, und das schon als Kind! Der Tod des Vaters in einem Sowjetlager 1948 scheint allerdings traumatisierend; der 61er Mauerbau fehlt. Spannend ist das wippende Verhältnis zwischen Informationen und Auslassungen; schwierig die Vitalität, die einen manchmal nach einem Hauch Unbewältigtsein gieren lässt wie nach Pilzen in einem trockenen Wald. Frank Schöbel jedoch ist nun einmal Schlagersänger, nicht Bärbel Bohley. Seine Autobiographie fährt gewollt einspurig. Sie bildet DDR-Leben seltsam perfekt von innen ab, weil Volk und Regierung, Privatleben und offizielle Politik nebeneinander agieren – wie zwei sich gelegentlich überlappende Sternennebel.

„Frank und frei“, sagt Schöbel, „heißt ja nicht Frank und blöd. Und was das ‚frei‘ angeht: Wer sagt schon alles?“ Man muss dem Mann in all den Interviews doch nicht genug oder aber die falschen Fragen gestellt haben. Dies hier ist seine ultimative Kopplung von Ergänzung und Richtigstellung: Echtzeitig auf Augenhöhe mit dem Leser rekonstruiert Schöbel, wie man sich in der DDR durchwurstelte und versuchte, dabei ein Maximum an Spaß zu haben. Zum Zwecke sauberen Erinnerns arbeitete „Fränkie“ in langen Nächten seine DDR-Jahreskalender, Marke „Hermes“, durch, die er allesamt ordentlich aufgehoben hat. Das Ergebnis: 25 voll gesprochene Tonbänder. So unstraff Schöbels Memoiren wirken, sie sind das Ergebnis von „Strich, Strich, Strich“. Den Leser vereinnahmt Schöbel imagegerecht als Duzkumpel und Gesprächspartner. Ihm, nur ihm allein, scheint der einst so berühmte Mann auf einem imaginären Sofa sein Leben anzuvertrauen.

Zehn Jahre nach deren Untergang macht sich Schöbel lustig über die kuriosen Äußerungsformen der DDR-Politik – so, wie sich der gelernte DDR-Bürger damals eben darüber lustig gemacht hat und wie er sich heute über die Bundespolitik lustig macht, wenn er nicht gerade in einer Depression versinkt: mit einer gewissen Ergebenheit. Schöbels Kumpanei rechnet mit gemeinsamen Erfahrungen, hält die aber nicht für Meinungen. So doof tut Schöbel denn doch nicht: „Die Partei hatte zwar ‚immer Recht‘, aber sie war nicht an allem schuld. So wie du heute den Umständen nicht alle Schuld geben kannst.“

Dieser Schöbel mit den blauen Augen hat nichts weggeworfen. Nicht die offen und latent repressiven Bescheinigungen der von ihm (Scherzkeks!) „Konzert- und Geschirrspüldirektion“ titulierten „Konzert- und Gastspieldirektion“, dass einer wie er gefälligst seinen besonderen Beitrag zum Erstarken des Sozialismus zu leisten habe. „Ich könnte ja auch mit dem Kulturministerium, mit der Defa, dem Rundfunk und der Schallplatte eine Übereinkunft herbeiführen, dass alle diejenigen, die uns bei dieser Aufgabe nicht helfen, auch keine andere Unterstützung mehr genießen sollen“, heißt es in einem Erpresserbrief des Deutschen Fernsehfunks vom 14. 10. 68, als der ermüdete Schöbel einmal nicht an einem der unzähligen Schlagerwettbewerbe zum Ruhme der DDR teilnehmen mochte. Über das aufgeblähte Klassenkämpfertum an allen Fronten kann er sich nur lustig machen.

Die diplomatische Mission impossible der DDR-Unterhaltungskunst, so in unzähligen Direktiven festgehalten, zum Beispiel bei der „Generaldistribution für Übertreibungskunst“ (d. i. Generaldirektion für Unterhaltungskunst), ist ähnlich der im DDR-Leistungssport definiert. Jeder Auftritt während und nach der „Zeit, da Walter Ulbricht dieses ‚Bum, bum, bum und jäh, jäh, jäh‘ verurteilte“, ist Politik. Den Prager Frühling erwähnt der privilegierte und halbfreie Frank nicht, nur wird er im Ostberliner Funkhaus plötzlich nicht mehr gegrüßt. Politik kommt in seinem Buch in Form „diverser eintreffender Briefe“ vor, die zu dokumentieren ihm ein innerer Vorbeimarsch gewesen sein dürfte. DDR-Administration und -Legislative propagieren ab 1966 „eine andere, lebensbejahende Unterhaltungs- und Tanzmusik“, „unter Einbeziehung breiter Bevölkerungsschichten“.

„Schrecklich, was wir uns alles angehört haben. Wenn das jemand aus dem Westen liest, muss der denken, ja, wie blöd waren die denn!“ Schöbel hat in manischer Sammelei nicht nur die kulturpolitischen Verordnungen aufgehoben, die vielen Ausweise und Tonbänder, sondern auch den „Star“ (ein Moped) und seinen ersten Trabant. Der Trabi steht noch in der Garage; die Tonbänder schummelt er 1991 in Koffern aus den Toren der Rummelsburger Nalepastraße, wo einst der DDR-Rundfunk prunkte. Schöbels Bühnengarderobe hängt komplett im Schrank. Man darf vermuten, dass sie gereinigt und gebügelt ist.

In Zeitlupentempo ging es nach 1989 für Schöbel klein weiter: „Stargast“ beim Marzahner „Herbstfest“, hier und da eine MDR-Sendung, dann doch die „Hitparade“. Was die 89er Wende für die Künstler der DDR bedeutete, ist hinreichend bekannt. Fragen zum Absturz fühlen sich für DDR-Menschen reichlich hämisch an – als hätte es einem gerade die Beine weggehauen, und jemand fragt, ob es sich denn schlecht laufe. Die abgelegten Oststars hatten zu viel Zeit und zu wenig zu tun. Die so genannte östliche Natürlichkeit samt ihres qualitativen Sendungsbewusstseins kollidierte unschön mit eloquenten Promotern, die sich in Börsendingen auskannten. Dies, dazu der mittlerweile überstandene Nierenkrebs und eine zweite Scheidung dürften Schöbels Energien während der vergangenen Jahre zur Genüge absorbiert haben.

Im Gegensatz zu vielen Berufskollegen hat sich Schöbel nicht wichtig gemacht, als nach 1989 kein Hahn nach ihm krähte. Zu den subjektiven Randkommentaren von Geschichte gehört auch, dass man sich jetzt eher wohlwollend für einen DDR-Sänger (samt dessen Image aus Jungenhaftigkeit und „Natürlichkeit“) interessiert, den man früher zwar wahrgenommen hat, weil nun einmal kein Weg an ihm vorbei führte, aber das war es dann auch. Man ist gemeinsam aus einer nicht ungemütlichen Nische gestürzt; vielleicht rappelt man sich auch gemeinsam wieder auf. Kameraderie hat sich immer verkauft. Schöbel braucht die Super-Illu als Promomedium, und die Super-Illu braucht Schöbel und andere Promi-Ostler aus Absatzgründen. Das Spiel ist nicht ungefährlich: Im Schlepptau laufen Kontrollverlust seitens der Künstler und Dünkelhaftigkeit. Es gibt Tageszeitungen, die Schöbel wegen Super-Illu für nicht gesellschaftsfähig halten.

Schöbel ist ein unerwartet gründlicher, sogar penibler, möglicherweise auch ängstlicher und zutraulicher Mensch. Es wäre vielleicht einfacher, wenn jedermann wüsste, wie genau er es eigentlich nimmt. Andererseits geht es keinen was an. „In der Tiefe hört kaum jemand von drüben zu – so geht es schneller.“ In Schöbels Berufsausweis steht „Sänger“. Der Mann könnte theoretisch, wenn die Leute sein „Wie ein Stern“ endgültig satt haben, auch etwas anderes singen. Das scheint ihn ein wenig zu beruhigen.

ANKE WESTPHAL, 39, arbeitet als Kinoredakteurin im Feuilleton der „Berliner Zeitung“

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