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Archiv-Artikel

Mit Einheitskluft zum Wir-Gefühl

Schulklasse führt freiwillig die einheitliche Schulkleidung ein, doch das Projekt ist nicht unumstritten. Manche glauben an Identifikation, andere wollen mit ihren Klamotten „auch etwas ausdrücken“

Bremen taz ■ Früher, ja ganz früher, da war an der Schule „Abziehen“ das gebräuchliche Wort für Subtrahieren. Wenn Jugendliche heute von Abziehen sprechen, meinen sie etwas völlig anderes: den Raub von teuren Handys oder Markenklamotten unter Jugendlichen auf dem Schulhof. Doch zumindest gegen den Markenwahn und die damit zusammenhängenden Probleme könne man etwas unternehmen, glaubt Gabriele Klaassen. Und deshalb soll auf Initiative der Schulelternsprecherin der integrierten Stadtteilschule Obervieland in einer neunten Klasse demnächst Einheitskleidung eingeführt werden. Auf freiwilliger Basis freilich, doch unumstritten ist das alles nicht.

Gabriele Klaassen glaubt jedoch, dass einheitliche Kleidung nicht nur die Kriminalität eindämmt, sondern vor allem den Zusammenhalt stärkt. „Es gibt viele Gründe, warum einzelne Schüler ausgegrenzt werden, aber ein wichtiger ist die Kleidung“, sagt sie. Ein gleiches Auftreten zeige dagegen: „Seht her, wir sind Schüler einer Schule.“

Und so sind die SchülerInnen der ausgewählten Klasse also zur Zeit dabei, ein ansprechendes Schullogo für die blauen Sweat- und T-Shirts zu entwerfen. Noch müsse das Ganze durch die Schulgremien, meint Klaassen, doch sie geht von einem Start schon nach den Osterferien aus. Dass sich vier von 25 SchülerInnen gegen den Einheitslook ausgesprochen haben, darin sieht Klaassen kein Problem. „In einer Hamburger Schule machen auch rund 20 Prozent nicht mit und es funktioniert trotzdem.“

Für Jutta Fernholz, Leiterin der Gesamtschule Mitte, wäre bei einer derartigen Quote solch ein Projekt gestorben. „Das wäre ja noch viel schlimmer“, meint sie. Dabei ist die Pädagogin gar nicht grundsätzlich gegen eine Schulkleidung. Ihre eigene Tochter geht gerade in Irland zur Schule, wo sogar Uniformzwang herrscht – und dort erkennt die ehemals glühende Verfechterin der Individualität nun sogar Entspannendes in der Gleichheit. Dennoch ist das Ganze für Jutta Fernholz zurzeit einfach kein Thema. Gerade an Gesamtschulen gehöre die Vermittlung der Unterschiedlichkeit von Menschen zum Konzept, sagt sie.

Auch Gerd Menkens, Leiter des Schulzentrums Koblenzer Straße, macht sich viele Gedanken, wie er sagt. „Aber über dieses Thema sicher nicht.“ Es gehe doch nicht um Markenklamotten, es gehe um Identifikation. Diese versucht man an seiner Schule vor allem durch Aktivitäten zu erreichen. Die Zehntklässler etwa arbeiten in einer Schülerfirma zum Beispiel im Catering oder der Gartenpflege. „Langfristig sind wir bestrebt, dass alle Schüler eine soziale Tätigkeit ausüben“, so Menkens. Und ja, in diesem Rahmen seien die Schüler dann doch an ihrer Einheitskleidung zu erkennen.

Für Christian Heidemann, Vorsitzender der Jungen Union Links der Weser, ist genau das der Punkt: „In der Arbeitswelt ist sowas doch gang und gäbe“, sagt er. Heidemann spricht von Integration, vom Wir-Gefühl. „An unseren Schulen gibt es doch gar keine Mentalität des Zusammenhalts“, beklagt er. Und weil das so ist, hat die Junge Union am heutigen Samstag eine Infoveranstaltung zum Thema organisiert. Im Gemeinschaftszentrum Obervieland werden ab 15 Uhr neben Gabriele Klaasen unter anderem auch eine Hamburger Studienrätin und zwei ihrer Schüler auf dem Podium sitzen, um über ihre Erfahrungen mit der Einheitskleidung zu berichten.

Bildungssenator Willi Lemke (SPD) begrüßt derlei Aktivitäten. Der Senator glaubt an die identitätsstiftende Wirkung, sagt dessen Sprecher Rainer Gausepohl. Ob dadurch auch das Abziehen an Schulhöfen zurückgehen könnte, sei dagegen schwer zu sagen. Vielleicht kommt für Lemke eine Anordnung der Einheitskluft auch deshalb nicht in Frage.

Für den 14-jährigen Jannik wäre Derartiges auch undenkbar. „Ich will mit meinen Klamotten doch etwas ausdrücken“, entrüstet er sich. Sein Freund Martin, 13, hätte gegen ein einheitliches Hemd dagegen nichts einzuwenden. Die todschicke Jacke mit dem breiten Pelzbesatz, „die kann ich ja immer noch drüber ziehen“. Achim Graf