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Mit 70 Jahren noch Champion

Das englische Bowls: ein Spiel für ältere Herrschaften  ■ Aus London Isobel Montgomery

Es sind Kugeln, Rasenkugeln, um genau zu sein. Ein Spiel für zwei oder vier Spieler, das auf einer Bahn oder einem Grasstreifen gespielt wird. Es wird mit großen Gummibällen geworfen, die „Hölzer“ genannt werden und einen kleineren weißen Ball, der Jack heißt, berühren sollen. Anders als beim Boule oder beim Kegeln herrscht keine Volksfestatmosphäre, man benimmt sich gesittet, spricht nur das Notwendigste. Bowls: ein Spiel für ältere Herrschaften – in Seebädern oder in viktorianischen Backsteinvorstädten. Bowls: ein Spiel des Tory- Kernlands, typisch für die in die Jahre gekommene Nation.

Während auf einem Fleckchen Grün in Wimbledon David Wheaton hinter einem Ball herrennt, der nach jedem Schlag von Andre Agassi übers Netz immer schneller wird, schlendern in Bounds Green, einem anderen Londonder Vorort, James und Fred, Cathy, Helen und Rose gemütlich auf ihrem Grasstreifen auf und ab. Jeder endet irgendwann mal beim Bowls – Tennis ist was für junge, energiegeladene Leute, selbst ein Agassi wird sich dem einmal beugen müssen. Aber es gibt immer noch Bowls, das letzte, altersunabhängige Spiel, wo man noch Champion sein kann, wenn man schon Rente bezieht.

Bowls ist, wie jedes englische Kind lernt, ein Spiel, um den Tag verstreichen zu lassen, während wichtigere Dinge geschehen. „Es ist noch viel Zeit, um dieses Spiel zu gewinnen und auch die Spanier zu schlagen“, sagte Sir Francis Drake, während er von einem schwierigen Wurf auf dem Rasen von Plymouth Hoe 1588 beobachtete, wie die spanische Armada den Ärmelkanal hochsegelte. Er zerschlug sie, vermutlich gewann er auch das Spiel. Bowls wurde immer mit vornehmen Herrschaften assoziiert, die in ihren späten Jahren sanfte Übungen ausführen.

Dieses Image hat sich zwar gehalten, auch wenn sich die Bowls- Spieler inzwischen etwas verändert haben. Pensionierte Schullehrer, Sekretäre, Drucker und Versicherungsmakler treffen sich auf dem Bowls-Rasen. Ihre einzige Sorge ist heute das Bewässerungssystem des Rasens, das kaputtgegangen ist. Hintergründe und früheres Leben werden hinter einer Uniform aus weißen Hemden und grauen Hosen für die Männer und weißen Blusen nebst Plisseeröcken für die Damen versteckt. An Wettbewerbstagen tragen die Männer weiße Hosen und ihre Clubkrawatten und die Damen ihre Hüte und die obligatorischen braunen Strümpfe. Die Welt des Bowls ist eine geordnete Welt, in der die Vorschriften befolgt werden und Damen noch Damen sind, niemals Frauen. Auf dem Rasen herrscht eine Art Vorkriegsidylle, nach der sich die Spieler außerhalb des Spielfelds immer sehnen.

Jimmy, der Angestellte, bewässert die Ecke, in der die Sprinkleranlage nicht funktioniert. Die Bahn – nicht mehr als ein handtuchgroßes Fleckchen Gras mit einem Graben außen herum, einem Weg und Bänken für die Zuschauer – ist das Allerheiligste. Am Meer gewachsenes Gras ist das beste, so steht es in alle Büchern. Eine Grünfläche in Südengland wächst schneller als eine in Schottland, eine in Australien noch schneller. Es ist ein Fulltime-Job, sich um dieses 37 mal 38 Meter großes Fleckchen und die Blumenrabatten außen herum zu kümmern. Ein schlecht gepflegter Rasen kann das Spiel versauen. Bowls ist kein Boule, das man in staubigen Parks auf holprigem Boden spielen könnte.

Auf der anderen Seite des Rasens, auf Spur eins, bückt sich Cathy und holt zu einem Schlag aus. Die Holzkugel rollt quer übers Feld, fern vom Jack, macht dann hinter den anderen Kugeln eine Kurve und kommt ein paar Inches vom Graben entfernt zum Halt. Eine Kugel, die den Jack berührt, macht ein seltsames Geräusch, wie das Klicken von zwei Billardkugeln. Die leichte Unebenheit in der Rundung der Kugeln bringt sie zum Eiern, wenn sie an Geschwindigkeit verlieren. Der Reiz des Spiels besteht darin, die Geschwindigkeit des Wurfes und, wie die Spieler sagen, die des Rasens einzuschätzen. Ein trockener Rasen ist schneller als ein regennasser. Rose, die nächste Spielerin, setzt ihre Kugel direkt in den Graben. Cathy und Rose sind Neulinge und zum ersten Mal auf dem Rasen, James und Fred auf der nächsten Spur dagegen sind alte Hasen. Fred zieht seine Hosen hoch, wenn er sich zum Ausholen bückt, und dreht seine Füße ein wenig in die Richtung, in die die Kugel rollen soll. Er ist 80, aber längst nicht der älteste Spieler im Club. „Solange man sich bücken kann, kann man spielen“, sagt James und geht zum Startpunkt. Seine Hand berührt fast den Boden, als er die Kugel losläßt und sich langsam aufrichtet. „Der Rest hängt vom Glück und vom richtigen Augenmaß ab.“

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