: Mißtöne um einen Flügel
■ Seit zwei Jahren streiten die Friedenauer Kammerkonzerte und eine Musiklehrerin um ein historisches Instrument. Nun steht "Erard" repariert und doppelt bezahlt in der Werkstatt
Seit über zwei Jahren sorgt das Gerangel um einen historischen Flügel im beschaulichen Friedenau für Mißtöne. Ein Streit in finsteren Molltönen ist um den Konzertflügel „Erard“ aus dem Jahre 1852 entbrannt, dessen Elfenbeintasten schon von Clara Schumanns und Johannes Brahms' Fingern berührt wurden. Ohne Rücksicht auf Dissonanzen kämpfen die Friedenauer Kammerkonzerte und Musiklehrerin Verena Wenk um „Erard“. „Nervensäge!“ tönt es von der einen, „Schlitzohr!“ von der anderen Seite.
Vor zwei Jahren bekamen die Kammerkonzerte „Erard“ von einer Erbin für 10.000 Mark zum Kauf angeboten. Doch die Kammerkonzerte hatten kein Geld. Da sprang die Musikliebhaberin Verena Wenk ein. Statt wie geplant das Geld direkt an die Erbin zu überweisen, entsprach Verena Wenk der Bitte der Kammerkonzerte, das Geld als Spende zu deklarieren. Sie ging dabei davon aus, daß sie Eigentümerin sei und den Flügel den Kammerkonzerten mietfrei zur Nutzung überlasse.
„Wir haben nie vereinbart, daß sie Eigentümerin ist“, meint jedoch Folkert Uhde, Geschäftsführer der Friedenauer Kammerkonzerte. Wenk fühlt sich von den Kammerkonzerten, die ihr einen Nutzungsvertrag versprochen hatten, betrogen. Ihr Geld habe unmöglich als Spende aufgefaßt werden können. „Ich wollte den Flügel nie spenden“, sagt sie, „weil die Kammerkonzerte ja ständig an der Pleite vorbeihangeln.“ Für diesen Fall sollte die Abmachung den Flügel vor dem Gerichtsvollzieher retten. Die Kammerkonzerte berufen sich auf eine „Besitzquittung“ mit Unterschrift der letzten Eigentümerin des Flügels. Die ist nach Meinung von Verena Wenk „erschlichen“.
Auch die Erbin, die nicht genannt werden will, fühlt sich von den Kammerkonzerten ausgetrickst. Die Unterschrift unter die „Besitzquittung“ habe sie nur geleistet, um der Bitte der Kammerkonzerte zu entsprechen, die die Quittung bei der Steuer einreichen wollte. Die spätere Bitte von Folkert Uhde jedoch, eine „Eigentumsquittung“ zu unterschreiben, habe sie befremdet abgelehnt. Zumal Folkert Uhde ihr Monate vorher schriftlich zugesagt habe, mit Verena Wenk einen Vertrag über die „Nutzung und weitere Verwendung des Flügels über das Bestehen der Kammerkonzerte und das Ableben von Verena Wenk hinaus“ zu machen. „Man macht doch keinen Nutzungsvertrag mit einem Nichteigentümer“, haut Verena Wenk zu Recht in die Tasten. Doch die Kammerkonzerte drücken sich nach wie vor um solch einen Vertrag. „Wir wollen das juristisch sauber klären“, so der lapidare Kommentar von Folkert Uhde.
Der Streit um die Besitzansprüche an dem Flügel spitzte sich im September vergangenen Jahres zu, als das von Motten zerfressene und von Schimmel befallene Instrument repariert wurde. Wieder fehlte den Kammerkonzerten das nötige Kleingeld. Diesmal fanden sie bei der Landesbank einen Geldgeber. Die spendete 20.000 Mark in der Annahme, die Kammerkonzerte seien Eigentümer. Mit dieser Spende auf dem Konto erteilten die Kammerkonzerte einer Klavierfirma den Reparaturauftrag. Doch auch Verena Wenk, die ja die Kaufsumme aufgebracht hatte, versteht sich als Reparatur- Auftraggeberin. Verdutzt nahm die Klavierfirma zur Kenntnis, daß der Auftrag nun doppelt bezahlt wurde. Jetzt steht das gute Stück, das eigentlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, gut verschlossen und repariert in der Werkstatt. Verena Wenk hat die Kammerkonzerte auf Herausgabe verklagt, jetzt strebt sie ein Verfahren gegen die Klavierfirma an. Ihren Traum von Konzerten auf dem historischen Flügel in den Räumen der Friedenauer Kammerkonzerte hat sie begraben. Sie spricht von „gezielter Kriminalität“ und will „Erard“ am liebsten nach Bayreuth bringen. Barbara Bollwahn
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