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Missionarisch- inquisitorische Anmaßung

■ betr.: "Dem alten SED-Denken verhaftet" von Anna Jonas, taz vom 3.7.90 (Antwort zu dem Kommentar von Wolfgang Kil "Überwältigung des Überbaus"), taz vom 29.6.90

betr.: „Dem alten SED-Denken verhaftet“ von Anna Jonas, taz vom 3.7.90 (Antwort zu dem Kommentar von Wolfgang Kil „Überwältigung des Überbaus“),

taz vom 29.6.90)

Werte Frau Jonas, schade, daß Sie nicht 40, 30 oder 20 Jahre in der DDR-Realität gelebt haben, von der Sie sich einbilden, sie zu kennen. Mit Ihrem Dogmatismus und Ihrer missionarisch-inquisitorischen Anmaßung hätten Sie gut in die Politlandschaft vergangener Zeiten gepaßt - und passen es auch gerade heute in Ihrer „ach so viel besseren und freieren Welt“. (...)

A.Kaminsky, Berlin 1040

Ich erinnere mich an die Überschrift einer lancierten Kritik des Films Insel der Schwäne vor etlichen Jahren in der 'Jungen Welt‘. Die Überschrift lautete: „Das ist wieder kein Film über uns!“ Dieser Stil war nicht von Redakteuren erfunden worden: Die 'Junge Welt‘ berichtete im Herbst, wie es dazu kam.

Genauso unerträglich und mit Denkverboten durchsetzt erscheint mir die Diskussion, die Anna Jonas über Wolfgang Kils Kommentar beginnt. In grotesker Weise bestätigt sie den von Kil beschriebenen Umgang mit einer bestimmten Art Meinung.

Es genügt offenbar nicht, die eigenen Thesen denen Wolfgang Kils entgegenzusetzen, der andere muß auch noch scheinbar bloßgestellt, muß verunglimpft werden.

Damit die Vernichtung vollständig wird, bezieht man gleich noch die „Ähnlichdenkenden“, „Kil & Co.“ mit ein und spekuliert, aus welcher Ecke sie denn alle kommen. (Daß hier ML und SED-Ideologie gleichgesetzt werden, ist traurig, aber nicht neu.) Die Brutalität und Undifferenziertheit, mit der das geschieht, erinnert ebenfalls an alte DDR-Praxis, nämlich an die Art alter Lexika: „Politologie: Bezeichnung für die gegenwärtige bürgerliche politische Wissenschaft. Die P. soll die Politik der imperialistichen Bourgeoisie begründen und rechtfertigen...“ (Kleines Wörterbuch der ML -Philosophie, 1984)

Dagmar Pattloch, Ost-Berlin

Also, das ist doch geradeweg unverschämt: Da verschafft man diesen Revolutionsostlern Zutritt zu freien Medien, und die sagen und schreiben gar ihre Meinung. Und die ist obendrein noch absurd. Reden die da von eigener Identität, von Konfrontation derselben mit zunehmender hegemonialer Herablassung und so weiter. Dabei, haben die je geschnallt, was da an Diskussion und in solchen wirklich ablief? Haben doch nie erlebt, was das ist, freie Diskussion, kennen doch nur Parteidiskussion, waren doch alle drin. Und Identität sind doch alle nur Nationalisten! Und Kils & Co.

Mein Gott, merkt Frau Jonas nicht, welchen Ton sie anschlägt? Und woher kommt wohl so ein verletzender Ton? Oder dürfen wir Museumsostler danach nicht fragen? Es ist ja naheliegend, wenn man das will, in dem Ton dieselbe Arroganz wiederzuerkennen, die der Osttourist am Westtouristen kennenlernen durfte, als die sich eine Sprache sprechend erkennen mußten in osteuropäischen Ländern. (...)

Lutz Suess, Aue/DDR

Anmerkung der Red.: Zu dieser Debatte erschien am 10.7. auf Seite 10 ein Beitrag von Stefan Schwarz „Produktion der Besinnung„

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