piwik no script img

Mission: Tier

Ginge es nach den Veganern, besäßen Tiere dieselben Rechte wie Menschen. Das hat der Bundestag kürzlich abgelehnt. Die Tierfreunde kämpfen trotzdem weiter – auch militant

von NICOLE MASCHLER

Auch wenn sie für ihre Ziele im Parlament vorläufig keine Mehrheit finden, die Geschichte haben Albert Außerehl und Artur Kalka gewiss auf ihrer Seite. Sie sagen es nicht ausdrücklich, aber sie scheinen davon überzeugt, vielleicht ist es aber auch nur das Prinzip Hoffnung: Ob rot oder braun, links oder rechts – die größten Bewegungen waren anfangs nicht mehr als verschworene Zirkel, neue Ideen selten massentauglich.

Würde man ihn einen Tierschützer nennen, zuckte Albert nur verächtlich mit den Schultern. Er kämpft gegen Viehtransporte, Mastbetriebe und Tierversuche, weil Tiere für ihn das gleiche Recht haben auf Freiheit und Unversehrtheit. Und was er anderen predigt, das lebt er selbst vor: keine Daunenbetten und Wollpullis, keine Lederjacke, kein Schokoriegel und den Kaffee ohne Milch. Die Veganer betrachtet er als Avantgarde. „Die Leute brauchen den Anstoß von außen“, sagt Albert, der Tierrechtsaktivist.

Da zu einer Massenbewegung aber nun mal auch viele Menschen gehören, hat Artur im Berliner Arbeiterviertel Moabit den Veganladen „Veni Vidi Vegil“ eröffnet. Zur Untermiete im „A-Laden“, wo sich montags die Mitglieder des „Revolutionären Funken“ treffen und donnerstags das „Ladenkollektiv“. „Das Angebot schafft sich seine Nachfrage“, sagt Artur, der Ladenbesitzer.

Beide kämpfen für das Wohl der Tiere. Jeder auf seine Weise. Was sie eint, ist der Glaube an die Kraft, etwas verändern zu können. Auch wenn die Union im April erneut dagegen stimmte, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern. Und obwohl der Rechtsausschuss das Thema daraufhin von der Tagesordnung absetzte.

„Die Leute sind einfach zu bequem, ihr Konsumverhalten zu ändern“, sagt Artur und schiebt seine Nickelbrille nach oben. Er spricht langsam – so, als müsse er alles genau überlegen. Ihre gesamten Ersparnisse haben Artur und drei Freunde in den kleinen Kellerladen an der Rathenower Straße gesteckt.

Draußen an der Eingangstür empfängt den Besucher revolutionäres Rot. Drinnen, im Halbdunkel, hängen die Insignien der Mieter plakativ an der Wand: die anarchosyndikalistische Zeitschrift Direkte Aktion neben dem Antibundeswehrposter und dem Werbeplakat für die neue CD der Gruppe „Freundeskreis“. Das macht Sinn, denn bei den Politrappern heißt es: „Esparanto ist die Sprache der Liebe, die nach und nach alle sprechen werden; Esperanto und an diesem Tag wird die Hoffnung neu geboren.“

Nun hat links, neben dem Durchgang, auch der Kapitalismus Einzug gehalten: Auf schmalen Holzregalen stehen dicht gedrängt Deos, Lippenstifte, Reinigungsmittel und Schuhe. Die Nachtkerzencreme für 16,80 Mark, der Orangenreiniger für 8,50 Mark, dazu vegane Kerzen und lederfreie Geldbörsen. Aber keine Lebensmittel.

Um die verkaufen zu dürfen, müssen kostspielige Hygienestandards eingehalten werden; deshalb fehlen Sojajoghurt und Eiersatz im Sortiment. Dennoch ist Artur vom Ladenkonzept überzeugt: „Nun können die Menschen wirklich den Schritt in ihrem Leben machen, um Tierleid auszuschalten.“

Wie viele Veganer es in Deutschland gibt, weiß keiner so genau. An den zwei Öffnungstagen pro Woche verirren sich selten mehr als fünf Kaufwillige in den Minishop. Die einzigen Kunden an diesem Nachmittag, zwei junge Männer, betrachten prüfend die Stiefel im Schuhregal. In England bestellen? Na ja, vielleicht nächste Woche. Die beiden blättern noch ein wenig unschlüssig in den Infobroschüren und verlassen den Laden rasch wieder.

Auf Laufpublikum wartet man zwischen Westhafen, Containerbahnhof und Untersuchungsgefängnis Moabit vergeblich. Das Gebiet im Berliner Nordwesten gleicht einer riesigen Durchgangsstraße: Jeden Morgen ächzen Laster über die Brücken, und Busse befördern Menschen in die Büros der Innenstadt. Wer hier vorbeikommt, hat es eilig und für Schaufensterauslagen keinen Blick. Und dass „Veni Vidi Vegil“ ausgerechnet bei der „Antifa“ Unterschlupf gesucht hat, wirkt auch nicht eben verkaufsfördernd.

Doch die ausbleibende Käuferschar kann Artur nicht schrecken. Schließlich hat es auch seine Zeit gedauert, bis sich die Vegangruppe gefunden hatte. „Die Leute der ersten Generation mussten ja auch erst einmal reifen.“ Gerade bei jungen Leuten sehe er durchaus ein „gewisses Potential“. Und überhaupt: „Man muss das auch aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive sehen. Es ist doch gut, wenn in Supermärkten fortschrittliche Produkte verkauft werden.“ Ein Pragmatiker, kein Idealist?

Links sei er schon, sagt Artur, irgendwie. Aber festlegen lassen will er sich nicht. Demokratischer Sozialismus, soziale Marktwirtschaft? Ist doch sowieso alles das Gleiche, irgendwie. Vielleicht liegt es daran, dass er es als gelernter Kaufmann gewohnt ist, Fakten für sich sprechen zu lassen.

Geht es um die vegane Sache, redet Artur am liebsten in Zahlen. Berichtet von den gerade sieben Prozent der Bevölkerung, die sich vegetarisch ernährten. Vom Fleischkonsum in Deutschland, der auch 1998 noch bei 62 Kilogramm pro Kopf lag. Von den siebenhunderttausend Masthähnchen, die täglich produziert werden. Und den 170.000 Kälbern, die jährlich sterben. Artur kennt die Zahlen bis hinters Komma genau. Die Statistiken sind seine Waffe und der Gegner heißt Ignoranz. „Man muss die Menschen überzeugen.“

„Durch Schockeffekte lässt sich eine größere Öffentlichkeit erreichen“, sagt Albert. Als er vor vier Jahren zu Animal Peace stieß, hatte er zwar schon einige Zeit vegetarisch gelebt. Aber erst als die anderen ihm Bücher des Vegangurus Helmut F. Kaplan liehen, ihn mit Rezepten versorgten und auf Demos mitnahmen, verzichtete Albert völlig auf tierische Produkte.

Die ersten Tierrechtsgruppen, die Anfang der Achtzigerjahre in Deutschland mit illegalen Befreiungsaktionen auf sich aufmerksam machten, kamen aus dem autonomen Spektrum. Gruppen mit Namen wie „No fur“, „die tierbefreier“ oder „Maqi“. Und auch wenn Albert inzwischen nicht mehr im Verein ist – an den Erfolg der Aktionen glaubt er noch immer.

Heftig gestikulierend zeigt Albert auf die Mitgliederzeitschrift vor sich. Das Heft liest sich wie ein Pamphlet: „Animal Peace“ besetzt eine Nerzfarm in der Oberpfalz. Stürmt eine Aldifiliale in München. Befreit Ferkel aus einem schleswig-holsteinischen Mastbetrieb. Für die Justiz ist das Hausfriedensbruch, für Albert aktive Tierrechtsarbeit. Sachbeschädigung? Er schüttelt die braune Wallemähne. Wer wollte schon eine zerbrochene Fensterscheibe aufwiegen gegen ein Tierleben, scheint sein Blick zu fragen. Sabotage erscheint ihm legitim, wenn das System versagt.

Auf der Grünen Woche, der Leistungsschau der Landwirtschaft in Berlin, baute sich die Gruppe – als Schweine und Rinder kostümiert – vor einem Fleischstand auf. Aber ehe sie die Transparente entrollen und ihren Protest herausschreien konnten, waren die Saalordner zur Stelle. Widerstand zwecklos, die Gruppe wurde unsanft Richtung Ausgang befördert. Von den Messebesuchern gab es nur verständnislose Blicke.

Artur gibt zu, dass der Erfolg der Aktion begrenzt gewesen sei. Doch manchmal scheint es, als stünden die Veganer überhaupt auf verlorenem Posten. Ob sie Hühnerleichen in der Innenstadt verstreuen oder angekettet das Elefantenrennen in Hoppegarten blockieren – die Zeitungen nehmen von der Empörung der Veganer nur noch selten Notiz.

„Streng genommen“, sagt Albert, „dürften wir nur essen, was uns in den Schoß fällt. Schließlich sind auch Pflanzen Lebewesen.“ Wer aus ethischen Gründen auf Fleisch verzichtet, der müsse früher oder später einfach bei den Veganern landen, glaubt Albert. „Veganismus ist letztlich nur die Konsequenz aus dem Vegetarismus.“ Konsequenz ist eines von Alberts Lieblingswörtern. Bis zum Äußersten gehen. Selbst wenn dabei sein altes Leben auf der Strecke bleibt.

Mit den Freunden von einst verbindet ihn nicht mehr viel. Eines Morgens wachte Albert auf und wusste: „Jemand, für den Gewalt gegen Tiere legitim ist, den kann ich nicht akzeptieren.“ Von einem Tag auf den anderen brach er den Kontakt ab. Zur Uni geht er schon lange nicht mehr. Seinen Unterhalt verdient der 34-Jährige mit Zeitungaustragen, zwei Touren pro Tag. Das reicht gerade zum Leben. Aber Albert hat seine Prioritäten gesetzt: „Ich sehe mich als eine Art Messias.“

Es sind Sätze wie diese, die bei Gesprächspartnern eine Mischung aus Belustigung und Skepsis hervorrufen. Im günstigsten Fall. Wenn Albert und seine Kumpel am Wochenende ihren Infostand am Alexanderplatz aufbauen, endet ein Gespräch über Schlachthäuser und Tierliebe nicht selten im Streit. Auch wenn die Passanten die Ziele der Veganer grundsätzlich unterstützen – den Eifer teilen nur wenige.

„Die Gesellschaft ist einfach noch nicht reif“, sagt Artur. – „Es ist wichtig, dass wir Position beziehen“, sagt Albert.

Wir. Immer wieder dieses Wir. Das klingt nach Zusammenhalt – und auch ein wenig nach erzwungener Nähe. Artur schüttelt den Kopf. Die Tiere, für die sie kämpfen, könnten nicht für sich selbst sprechen. „Bei uns bestimmt jeder selbst, was er tut.“

NICOLE MASCHLER, 28, lebt und arbeitet in Berlin als freie Journalistin. Sie bekennt sich als Dreiviertelvegetarierin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen