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Minibuchstabensuppe

■ Die neuest Nummer des Textzines „glas'z“ beschäftigt sich mit Typographie, Postmoderne und studentischen Helden

Vor Rezeption des Hamburger Fanzines glas'z sollte vor einer möglichen Nebenwirkung gewarnt werden. Denn die Lektüre der seit April 1991 in großen Abständen erscheinenden Textsammlung kann in ernsthafte Grübelzustände darüber versetzen, ob hier kreatives Intellektuellentum oder selbstgenügsames Kopfwichsen betrieben wird. Auf jeden Fall ist die Aufnahme von glas'z, das nach seiner letzten Wiedergeburt 1993 jetzt zum vierten Mal im neuen Gewand erschienen ist, mit einem gewissen Energieaufwand verbunden.

Das beginnt schon beim profanen Akt des Lesens. Das (rein männliche) Team verpaßte dem extrem textlastigen Blatt ein David-Carson-Design in einer etwas schmalbrüstigen Version ohne Fotos. Postmodernistisch korrekt sind die Artikel bezüglich Layout und Orthographie unterschiedlich und geeint nur in ihrer Uneinheitlichkeit. Aus den Verschachtelungen und Verschiebungen ergeben sich dann teilweise schicke Müsterchen.

Dabei ist es zumindest teilweise lohnend, diesen schwarz-weißen Kleinstzeichenozean zu durchqueren – es sei denn, man ist allergisch gegen einen poststrukturalistischen Jargon. Denn im Grunde handelt es sich bei glas'z eher um ein Poststrukturalismus-Zine. Die einschlägigen Herren Heroen – Deleuze, Derrida, Lacan etc. – finden zahlreiche Erwähnung, und es wird eifrig verschoben, verdreht, dekonstruiert eben. Das kann auf die Dauer ziemlich nerven und langweilen.

Andererseits eröffnen sich auf den 49 Seiten auch einige interessant-neuartige Einblicke. Dazu zählen zum Beispiel das Interview mit dem Psychoanalytiker Slavoj Zizek, Bertram Richters Porträt des Kult-Typographen David Carson oder Heiko Stoffs Überlegungen zum Thema „Spaß“ im Hamburger Autonomenmilieu.

Auch Holger in't Velds Essay, eine Art Auseinandernahme des Techno-Zeitgeistes, hält schön-wahre Einsichten parat: „Das Wunderland Techno (...) ist eine auf nichts fußende, leicht hysterische Vorstellung von Menschen, deren Umgang mit Kultur nie die Mythenebene verlassen hat.“

Daß der Relativität und Pluralität propagierende Habitus im glas'z so konsequent einseitig und ernsthaft durchgehalten wird, könnte man natürlich selbst als Mythologisierung der aufklärerischen Theorien und Theoretiker der „Postmoderne“ auslegen. Doch zum Glück sind die Texte, in denen das wirklich unangenehm wird, in der Unterzahl. Ein Beispiel ist die dröge Dekonstruktions-Vorturnerei Christian Schlüters zum Thema „Gerechtigkeit“, die schon wegen der pseudoakademischen Verwendung von Fußnoten keine gute Noten erhält.

Alles in allem ein Heftchen, das den ambivalenten Charme elitären (Pseudo-)Intelligenzlertums ausstrahlt und bei dem vor allem Hobby-Poststrukturalisten und solche, die es werden wollen, auf ihre Kosten kommen. Und diese sind dann mit sieben Mark für einen großen Teller postmoderner Minibuchstabensuppe sogar noch akzeptabel bedient.

Christian Schuldt

Kontakt: glas'z/mnemosyne-Verlag, Kaiser-Wilhelm-Straße 73, 20355 Hamburg

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