: Minderheitenschutz
■ „Spanish fly“: Abgesandte der New Yorker Knitting Factory im KITO
Handelt es sich bei einem Spanish fly um einen Flug nach Spanien oder um eine spanische Fliege, so wurde in der Konzertpause des New Yorker Freestyle-Jazz-Trios bildungshungrig gefragt. Gemeint sei wohl eher die Droge gleichen Namens, so erklärten die Herren des KITO leicht irritiert. Da stellen sich natürlich gleich viel weitreichendere Fragen: sind Bremer, solche Bremer, reif für jene Klänge zwischen Ekstase und absurdem Theater, welche die drei Herren an Gitarre, Tuba und Posaune respektive Trompete erfinden?
Natürlich sind sie es, übrigens schon seit langem, aber nur in kleinen Mengen. Die Knitting Factory ist eine Legende. Die Produkte der Avantgardeschmiede werden gerne in bürgerlichen Feuilletons gerühmt. Auch in die Klassik-Zeitschrift für Neue Musik finden sie Eingang. Von München über Regensburg bis Bremen erobern sie sich eine treue Fangemeinde. Doch mysteriöserweise bleibt die klein. Zwischen Ruhm und Besucherzahl klafft eine Lücke.
Um Lücken und Ungereimtheiten geht es auch in der Musik. 14 silbrige Kegel stehen auf dem Tischchen von Steven Bernstein. Die Dämpfer sagen uns: Es gibt nicht nur eine Variante der Kläglichkeit, Erbärmlichkeit, Verdruckstheit. Es gibt ganz viele verschiedene. Und sie sind wunderschön. Als ginge es um musikalischen Minderheiten- und Artenschutz, macht sich Bernstein zusammen mit Dave Tronzo und Marcus Rojas stark für alles Schwache: Fiepsen, Verhauchtes, Verwischtes. Eine Art musikalischer Humanismus. Das funktioniert nur, da alle Knitting worker hervorragende Techniker sind. Allerdings zeigen sie das selten zu Beginn eines Konzerts. Null Interesse am Ideal des großen, strahlenden, göttlichen Tons. Ekel vor dem Perfekten und Makellosen. Viel mehr Lust an allem Zerrupften.
Wie ein Indianer schleicht sich der Flug nach Spanien in die Stücke hinein: ein paar dürre Töne von der Tuba, ein paar Melodiebrocken von der Gitarre, wieder die Tuba: ah, das könnte eine Erwiderung sein, hoho, musikalische Struktur also, keine Stimmprobe, sondern das Stück.
Die Tuba nimmt es locker mit Mangelsdorffs Vielstimmigkeit auf. Sie setzt aber noch eins drauf. Die hohe Stimme umschwirrt wie eine delirante spanische Wespe die Töne. Immer irgendwie knapp daneben. Zu Beginn des Konzerts ist Musik eine Suche nach einigermaßen klaren Tönen, nach 15 Minuten pendelt der erste Publikumsfuß, Tronzo erspäht's und unterbricht hinterhältig seinen Groove, am Ende sind Musiker und Publikum ein einziges Wippen, halb ironisch, halb ekstatisch. Dieses Publikum ist reif. Barbara Kern
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen