: Militanz als „Volxsport“
■ Wer den Sinn ritualisierter Gewalt im Kiez in Frage stellt, wird massiv eingeschüchtert
Die Bilder hatten wahrlich Seltensheitswert: Mitglieder des autonomen Blocks - auch „Haßkappenfraktion“ genannt verlieren während der Demonstration gegen den Parteitag der „Republikaner“ Teile ihrer Ausrüstung. Nicht etwa an die Gegenfraktion in Gestalt behelmter Polizeibeamter, sondern an friedliche DemonstrantInnen, die plötzlich so friedlich nicht mehr waren. Bereits im Vorfeld der Demonstration gab es Kritik von Frauen an der zu erwartenden „Männerkriegsanordnung“, meist männlichen Autonomen, die sich mit meist männlichen Polizeibeamten prügeln, die wiederum zum Schutz meist männlicher „Republikaner“ eingesetzt waren. An den Entwaffnungsaktionen des 8.Juli beteiligten sich nicht nur, aber mehrheitlich Frauen.
Wenige Tage nach der Kundgebung des „Bündnisses gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“, das von DGB bis zu den Autonomen reichte, äußerten Frauen aus verschiedensten politischen Bereichen in der taz Kritik an stereotyper Militanz und kündigten an, sich in Zukunft verstärkt einzumischen und notfalls auch dazwischenzugehen. „Früher war es meist so, daß man gezielt provoziert worden ist, heute ist das eine Spielwiese für Randale“, erklärt eine Frau, ehemals autonome Sanitäterin und Hausbesetzerin. Andere waren wütend über „die unglaubliche Dummheit der Militanten“ oder über die „Berechenbarkeit einer Weckuhr“, mit der trotz eines angekündigten friedlichen Verlaufs die Steine flogen. Wieder andere beobachten ein mittlerweile identisches Auftreten von Autonomen und Polizisten. „Die Autonomen haben ihr Aufmarschritual inzwischen genauso gut eingeübt wie die Bullen ihre Schildkrötenformation.“
Kritik an Militanz kommt nicht nur von Frauen, doch sie haben sich bisher am lautesten und deutlichsten dazu geäußert und die Gewalt um ihrer selbst Willen in Frage gestellt. Die Frage, ob dies ein zufälliges Phänomen oder eine greifbare Entwicklung ist, war letztlich Anlaß für dieses taz-Gespräch.
Erschreckend ist die Tatsache, daß die Debatte über Sinn und Unsinn von Militanz, wenn überhaupt, in einem Klima von Einschüchterung und Angst geführt wird. „Wenn du hier das Maul aufmachst gegen diese militante Scheiße, dann siehst du alt aus“, kommentierte eine ehemalige Hausbesetzerin die Situation im Kreuzberger Kiez. Mit ihrer Kritik an ritualisierter Randale setzte sie sich massiver Anmache und auch Drohungen seitens autonomer Männer aus, die sich in ihrem Sexismus kaum vom Durchschnittsmann unterscheiden. Einige Tage nachdem sie sich in der taz geäußert hatte, fand sie die Reifen ihres Autos zerstochen, die Scheiben an ihrem Arbeitsplatz eingeworfen und die Klingelanlage an ihrem Haus demoliert. Eine „Anti-Yuppie-Front“ rechtfertigte die Aktionen in einer Autonomenzeitschrift als Bekämpfung des „Ansatzes einer alternativen Bürgerwehr“.
Erschreckend ist auch die Wirkung, die solche Aktionen nach sich ziehen. Keine der Teilnehmerinnen an diesem Gespräch wollte unter ihrem tatsächlichen Namen genannt werden.
anb
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