: Militär muß Kritik ertragen
■ Gericht ist Würde eines öffentlichen Gelöbnisses "als Rechtsgut unbekannt". Es erlaubt Gegendemo. Nach Protesten darf ARD am Schloß Charlottenburg filmen
Die erste öffentliche Rekrutenvereidigung der Bundeswehr in Berlin findet mit einer gerichtlich genehmigten Gegenkundgebung statt. Das Verwaltungsgericht entschied gestern, die heutige Gelöbnisfeier im Hof des Schlosses Charlottenburg müsse zwar vor Störversuchen geschützt werden. Aber die Bundeswehr habe „kritische Äußerungen der Zuschauer“ zu ertragen.
Das Gericht entschied, daß die Würde eines öffentlichen Gelöbnisses als Rechtsgut unbekannt sei. Die Bundeswehr müsse damit rechnen, daß bei einem bewußten Auftritt in der Öffentlichkeit „Kritiker dieser Selbstdarstellung ihre Einwände am selben Ort ebenfalls öffentlich zu erkennen geben“ wollen. Die Öffentlichkeit sei ein Ort des „politischen Meinungskampfes“. Kritik sei daher zu ertragen, wenn dabei nicht der „Ablauf der Veranstaltung konkret beeinträchtigt“ werde. „Gewisse Beeinträchtigungen“ der angestrebten Würde und Feierlichkeit einer Veranstaltung müßten daher toleriert werden.
Die Gegenkundgebung zu dem Zeremoniell darf nun entgegen vorangegangener polizeilicher Auflagen am etwa 400 Meter entfernten Richard-Wagner-Platz stattfinden. Das Verbot von Demonstrationszügen wurde jedoch weitgehend bestätigt.
Christian Herz von der „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“ kündigte vor Journalisten an, seine Organisation werde alles unternehmen, „den Symbol- und Würdegehalt entscheidend zu stören“. Gewaltakte gegen Menschen schloß er aus. Zu der Gegendemonstration riefen auch ein Bündnis aus Grünen, Jusos, PDS und Teilen der SPD sowie eine Reservistenorganisation auf. Die Organisatoren der Gegendemonstration erwarten nach eigenen Angaben rund 5.000 Teilnehmer.
Die Sicherheitsmaßnahmen begannen gestern mit der Schließung des Schlosses und des Schloßparks für die Öffentlichkeit. Aus Sicherheitsgründen werden für das Zeremoniell auch die nahen Museen und Restaurants geschlossen. Anwohner sollen ihre Autos entfernen und keine Fremden in ihre Wohnungen lassen.
Empörung in den öffentlich- rechtlichen Medien hatte eine Anordnung der Bundeswehr ausgelöst, wonach für die Rundfunkübertragung des Ereignisses einschließlich der Rede Herzogs nur ein privater Berliner Lokalsender zugelassen wurde. Nach einem entschiedenen Protest des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) beim Bundesverteidigungsministerium wurde auch ein Übertragungswagen der ARD zugelassen, wie ORB-Sprecherin Pia Stein in Potsdam mitteilte. APD
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