„Besser keine Asylrechts­reform als diese“

In der Asyldebatte werde vor allem über Verschärfungen diskutiert statt über Menschenrechte und pragmatische Lösungen, kritisiert Migrationsrechtler Pichl

Ein Mann aus Gambia arbeitet an einer Kreissäge in einer Schreinerei

Der aus Gambia geflüchtete Schreiner Omar Ceesay arbeitet an einer Kreissäge Foto: Felix Kästle/dpa/picture alliance

Interview Dinah Riese

taz: Herr Pichl, am Wochenende haben 270 Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus Asyl- und Fluchtforschung, darunter auch Sie, „einen Menschenrechtspakt in der Flüchtlingspolitik“ gefordert. Seither hat sich die Asyldebatte weitergedreht – in die von Ihnen erhoffte Richtung?

Maximilian Pichl: Nein, in keinster Weise. Wir sind nicht einverstanden mit einer Debatte, in der die Menschenrechte Geflüchteter keine Rolle mehr spielen. Es macht uns große Sorge, dass der Asylkompromiss der 1990er Jahre als Vorbild für heutige Politik herangezogen wird, sowohl von FDP-Chef Christian Lindner wie auch vom Bundespräsidenten. Damals wurden in den Rauchschwaden von Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen radikale Einschränkungen für Geflüchtete durchgesetzt, ohne dass man damit die extreme Rechte eingeschränkt hätte. Im Gegenteil: Der NSU fing später an zu morden.

Die EU-Staaten haben sich nach langem Verhandeln auf die sogenannte Krisenverordnung geeinigt. Ansonsten wäre die gesamte Reform des europäischen Asylsystems gescheitert. Das wäre doch auch nicht die Lösung, oder?

Wir haben das aktuelle europäische Asylsystem immer wieder kritisiert. Aber besser keine Reform als diese. Dadurch wird weder das Sterben im Mittelmeer aufhören noch wird die kommunale Infrastruktur entlastet oder die Aufnahme gelingt besser. Stattdessen werden illegale Pushbacks zunehmen und Menschen, die Schutz suchen, werden entrechtet und unter Haft festgesetzt.

Auch die innenpolitische Asyldebatte geht weiter. Zum Beispiel mit der Forderung, Geflüchtete sollten Sach- statt Geldleistungen bekommen.

Das ist genau das Gegenteil der nötigen Entlastung der Kommunen. Sachleistungen sind ein enormer Verwaltungsaufwand. Ich verstehe nicht, warum die Kommunen das nicht rundherum ablehnen. Außerdem steht auch Asyl­be­wer­be­r*in­nen laut Bundesverfassungsgericht das soziokulturelle Existenzminimum zu. Genau da wird bei solchen Sachleistungskonzepten aber in der Regel gespart.

Die FDP schlägt eine Bezahlkarte vor. Wäre das weniger aufwendig?

Sie wissen doch selber, dass Deutschland nicht gerade mit seiner Digitalisierung glänzt. Wie soll denn ein solches Bezahlsystem in allen Kommunen bundesweit installiert werden? Zum freien Leben gehört außerdem dazu, dass ich frei entscheiden kann, wo ich einkaufe, und nicht nur den einen Supermarkt zur Auswahl habe, der vielleicht nicht verkauft, was meinen Essgewohnheiten entspricht.

Die FDP argumentiert, dass die Menschen mit dem Geld Schlepperschulden zahlen oder es in ihre Heimatländer überweisen.

Man bekommt in der Debatte den Eindruck, Asyl­be­wer­be­r*in­nen bekämen unglaublich viel Geld. Das Gegenteil ist der Fall, gerade in Zeiten der Inflation. Rücküberweisungen haben darüber hinaus in Ländern des Globalen Südens einen wesentlichen Anteil an der Armutsbekämpfung. Das zu unterbinden, ohne gleichzeitig globale Armut anders zu bekämpfen, würde die Lebensbedingungen für viele Menschen enorm verschlechtern.

Andererseits wollen alle Ampelparteien Arbeitsverbote für Geflüchtete aufheben oder lockern. Es soll also nicht nur verschärft werden.

Foto: privat

Maximilian Pichl

36 Jahre, ist Professor für Soziales Recht mit dem Schwerpunkt Asyl- und Migrationsrecht an der Hochschule RheinMain

Das ist definitiv ein richtiger Schritt. Leider werden im gleichen Atemzug neue Arbeitsverbote geschaffen: Die Ampel will mehr sichere Herkunftsstaaten – und Menschen aus solchen Ländern unterliegen einem unbefristeten Arbeitsverbot. Das ist widersprüchlich. Die im Koalitionsvertrag versprochenen Erleichterungen beim Familien­nachzug hat Innenministerin Nancy Faeser gerade einkassiert, unter großem Protest der Kinderrechtsverbände. Vieles, was die Ampel an progressiven Ideen versprochen hat, wird aufgeweicht oder gar nicht mehr verfolgt.

Nun ist die Belastung in vielen Kommunen tatsächlich hoch. Was würde denn helfen?

Statt eines Sparhaushalts bräuchte es jetzt große Investitionen in kommunale und soziale Infrastruktur. Das käme allen im Land zugute. Wir haben es geschafft, eine Million Ukrai­ne­r*in­nen aufzunehmen. Die flexibleren Regelungen für sie zeigen, dass Pragmatismus uns weiter bringt als Verschärfungen. Zumal Abschottung und absolute Kontrolle nicht mal extrem rechten Regierungen wie in Italien gelingen. Das wider besseres Wissen zu versprechen und nicht einhalten zu können, führt nur zu noch mehr Vertrauens­verlust.