: Migrantinnen im Psycho-Streß
■ Gutachten für Senatsverwaltung für Frauen: Psychosoziale Hilfsangebote für Ausländerinnen sind unzureichend / Gründe: Beratungsstellen unbekannt, Sprachprobleme oder Scheu vor Öffentlichkeit
Migrantinnen stehen nach Erkenntnis der Senatsverwaltung für Frauen unter besonderem Streß. Sie haben nicht nur Mehrfachbelastungen als Arbeiterin, Ehefrau und Mutter zu ertragen, sondern auch den Frust mangelnder Lebensperspektiven für sich selbst oder ihre Kinder. Überdurchschnittlich oft sind sie von Arbeitslosigkeit und wachsender Armut betroffen. Schwierigkeiten mit patriarchalischen Ehemännern oder gesellschaftliche Diskriminierung treiben sie zusätzlich in die soziale Isolation.
Psychosoziale Hilfeleistungen täten also not. Die aber sind sehr unzureichend, wenn man dem gestern vorgestellten Gutachten des „Berliner Instituts für Sozialforschung und sozialwissenschaftliche Praxis“ folgt, das im Auftrag der Senatsverwaltung für Frauen verfaßt wurde.
Diese psychosoziale Notlage hat kulturelle, aber auch ganz praktische Gründe. Zum einen sei die Hemmschwelle, eine öffentliche Beratungsstelle zu betreten, für nichtdeutsche Frauen besonders groß: „Sei es, daß es im kulturellen Umfeld der Betroffenen nicht üblich ist, solche Probleme nach ,außen‘ zu tragen, sei es, daß die Beratungsstellen nicht bekannt sind, oder ganz einfach deshalb, weil dort niemand ihre Sprache spricht“, heißt es in dem Gutachten.
Der in den Ämtern herrschende Eindruck, die Ausländerinnen seien wenig interessiert an institutionellen Hilfen, sei deshalb völlig falsch. Im Gegenteil: „Der Bedarf an Beratung und Therapie ist hoch“, so Gutachtenautorin Czarina Wilpert. Das könne man besonders an denjenigen Projekten und Institutionen ablesen, die spezielle Angebote für Ausländerinnen haben.
Doch dieses Angebot machen die wenigsten – weil es an ausländischen Fachkräften und SprachmittlerInnen fehlt. Sprachbarrieren aber, so die Verfasserin weiter, machen Hilfe manchmal unmöglich oder verkehren sie sogar ins Gegenteil. Frauen werden zum Beispiel mit Medikamenten behandelt, obwohl sie eigentlich eine psychosoziale Beratung bräuchten.
Helga Korthaase, SPD-Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Frauen, forderte deshalb die Einstellung von mehr ausländischen Fachkräften in den psychosozialen Einrichtungen. Der Bedarf ist groß: Denn in Berlin leben derzeit rund 190.000 nichtdeutsche Frauen und Mädchen.
Auch die deutschen PsychologInnen, SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen müßten nach Ansicht von Korthaase weitergebildet und für die Arbeit mit Migrantinnen besser qualifiziert werden. Zudem sollten sich die staatlichen Einrichtungen, freien Träger und Selbsthilfeeinrichtungen stärker vernetzen. Gutachterin Wilpert schwebt hier unter anderem die „Bildung multikultureller Teams“ und der Aufbau einer „Zentraleinrichtung für Fort- und Weiterbildung“ vor. Ute Scheub
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