Mietenpolitik im sozialen Wohnungsbau: Maximal unzufrieden
Der Senat will die Mieten durch Kopplung an das Einkommen senken. Ein erster Entwurf dazu stößt jedoch auf heftige Kritik.
Doch mittlerweile knirscht es gewaltig. Erst der Konflikt um Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen, jetzt schlägt die Mieterinitiative Kotti & Co Alarm: „Abgrundtief unsozial“ sei der jetzt vorgelegte Entwurf der Senatsverwaltung zur Neuregelung der Mieten im sozialen Wohnungsbau, so die 2012 gegründete Gruppe.
Dabei bildet der Entwurf ein Kernstück des angekündigten Paradigmenwechsels in der Mietenpolitik: Die rot-rot-grüne Koalition hat sich darauf verständigt, die Mieten im sozialen Wohnungsbau zu senken. Dafür soll die Miete zukünftig an das Einkommen der Mieter gekoppelt werden.
Mit dem nun veröffentlichten Eckpunktepapier für die „umfassende Reform des sozialen Wohnungsbaus“ ist der Aufschlag gemacht: Das bisherige Kostenmietrecht wird abgelöst, ein neues Gesetz über einkommensorientierte Richtsatzmieten soll am 1. Januar 2018 in Kraft treten. Vorläufige Regelungen sollen bis dahin mit einem Vorschaltgesetz bestimmt werden.
Preise für fünf Einkommensstufen
Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, die höchstzulässige Miete in fünf Stufen zu differenzieren. Menschen, die weniger als 75 Prozent der für den Erhalt des Wohnberechtigungsscheins (WBS) angesetzten Maximalhöhe verdienen, sollen künftig maximal 5,25 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen (Stufe 1), bei einem schlechten energetischen Zustand des Gebäudes bis zu 50 Cent weniger. Für Personen mit einem Einkommen von 90 bis 110 Prozent der Höchstgrenze soll die Miete 5,75 Euro pro Quadratmeter betragen (Stufe 3).
„Wenn dieser Entwurf umgesetzt wird, werden die Mieten für viele Mieter im sozialen Wohnungsbau steigen, nicht sinken“, kritisiert Sandy Kaltenborn von Kotti & Co. Der Entwurf sehe eine Umverteilung zwischen „ziemlich armen und ganz armen“ MieterInnen vor.
Denn wer ein Einkommen hat, das mehr als 140 Prozent der WBS-Grenze beträgt (Stufe 5), soll künftig sieben Euro pro Quadratmeter zahlen – mehr, als aktuell im sozialen Wohnungsbau verlangt wird. Bei Einpersonenhaushalten trifft das ab einem Bruttoeinkommen von etwa 23.000 Euro im Jahr zu, bei Zweipersonenhaushalten läge die Grenze bei gut 35.000 Euro – das sind auch in Berlin alles andere als Gutverdiener.
Eine Beispielrechnung
Nach einer Beispielrechnung von Kotti & Co. würde ein Tischler mit einem Nettoeinkommen von 1.600 Euro in die höchste Stufe fallen. Für eine 65 Quadratmeter große Sozialwohnung mit einem aktuellen Preis von 6,50 Euro pro Quadratmeter würden künftig sieben Euro fällig werden, die Miete würde damit um 32 Euro steigen.
Für Menschen unter dieser Einkommensgrenze sollen die Mieten zwar sinken – allerdings nur auf individuellen Antrag. Genau damit wurden aber schlechte Erfahrungen gemacht: Von der seit 2016 bestehenden Möglichkeit für SozialmieterInnen, sich die Miete bezuschussen zu lassen, wenn diese mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens verschlingt, hat bisher nur ein sehr kleiner Teil der Berechtigten Gebrauch gemacht. Das liege auch an dem komplizierten Antragsverfahren, kritisieren Mieterinitiativen.
Anzahl: Nur noch rund 135.000 der 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin sind Sozialwohnungen. Nach Berechnungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung würde ihre Zahl ohne die 2015 beschlossene Neuförderung, mit der mehrere tausend neue Sozialwohnungen entstehen sollen, binnen der nächsten zehn Jahre auf knapp 80.000 Wohnungen sinken.
Mieten: Die rot-rot-grüne Regierung hat Verbesserungen für die SozialmieterInnen angekündigt: "Die Koalition wird ab dem Jahr 2018 durch eine umfassende Reform gerechte Sozialmieten und Belegungsbindungen sichern. Damit sollen die Mieten gesenkt und nach dem Einkommen der Mieter*innen gestaffelt werden", heißt es im Koalitionsvertrag. (taz)
Kritik übt Kaltenborn auch an anderen Punkten des Entwurfs: So sei die Datengrundlage zur Berechnung der Betriebskosten veraltet und unvollständig, vor allem aber beinhalte das Papier keine Vorschläge für die Wohnungen, die durch eine vollständige Rückzahlung der Darlehen vorzeitig aus der Sozialbindung herausgelöst werden – eine Möglichkeit, von der die Wohnungsunternehmen aufgrund der niedrigen Zinsen momentan im großen Stil Gebrauch machen.
Auch der Berliner Mieterverein kritisiert den Entwurf. Dieser unterstützt, so die stellvertretende Geschäftsführerin Wibke Werner, seit Langem das Modell einer einkommensabhängigen Richtsatzmiete. Doch Mieterhöhungen lehnt sie ab: „Da muss man an den Miethöhen schrauben.“
Ein taktisches Manöver
Ist das Versprechen einer mieterfreundlicheren Politik, für das die neue Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher steht, also nur heiße Luft? So weit wollen Kotti & Co nicht gehen – zumindest noch nicht. Deutliche Kritik üben sie aber an der Lompscher unterstellten Verwaltung, der eine große Nähe zur Berliner SPD nachgesagt wird.
So sei der vorliegende Entwurf ein Versuch dieser Verwaltung, das im Koalitionsvertrag festgehaltene Vorhaben einer Richtsatzmiete in eine „möglichst unsoziale Richtung zu drücken“, sagt Kaltenborn. Im Vorgehen der Verwaltung sieht er ein taktisches Manöver: „Wenn ich einen Entwurf vorlege, der so wenig mit einem sozialen Richtungswechsel in der Mietenpolitik zu tun hat, wird auch ein Kompromiss am Ende diesen Richtungswechsel nicht einleiten.“
Auf Anfrage der taz hieß es aus der Senatsverwaltung: „Die derzeit geltenden Regeln des sozialen Wohnungsbaus lassen zu, dass die Mieten so weit steigen, dass sie nicht mehr sozialverträglich sind. Das müssen wir stoppen und damit haben wir das gleiche Ziel wie Kotti & Co.“ Die Kritikpunkte nehme man ernst, sie werden „Bestandteil der inhaltlichen Diskussion für eine Neuregelung des sozialen Wohnungsbaus sein“.
Um den angekündigten Wechsel in der Wohnungspolitik tatsächlich umzusetzen, müsse sich die Senatorin gegen diese Verwaltung durchsetzen, fordert Kotti & Co. Sonst werde das Verhältnis zwischen Senat und außerparlamentarischen Stadtinitiativen insgesamt belastet: „Gerade weil wir seit Jahren zu den entsprechenden Expertenkreisen geladen werden, ist die Frustration bei uns natürlich extrem hoch, wenn dann am Ende so ein Entwurf herauskommt“, sagt Kaltenborn.
Bei den stadtpolitischen Initiativen zählt Kotti & Co zu dem Flügel, der für seine Gesprächsbereitschaft gegenüber dem Senat bekannt ist – zumindest im linken Teil der neuen Regierung wird ihre Kritik nicht ungehört bleiben.
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