: Mielke: „Wir müssen alles erfahren“
■ Die Stasi-Akten belegen die totale Überwachung des DDR-Sports
Berlin (dpa) – Manfred Ewald, der ehemalige Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR, behauptet bis heute starrsinnig, daß das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Sport der DDR „keine Rolle gespielt hat“. Der Stasi sei es „nicht erlaubt gewesen, sich in unsere Dinge einzumischen“, sie sei „nach dem, was wir im Sport darstellten, für uns eine Nummer zu klein gewesen“.
Die Erkenntnisse, die die Gauck-Behörde bisher aus den Stasi-Akten gewonnen hat, stehen der Aussage des höchsten Sportführers der DDR diametral entgegen. Die Stasi wußte alles über den DDR-Sport. Sie hat mit einem Heer von Mitarbeitern alle Doping-Operationen „abgedeckt“ und „für einen absoluten Geheimnisschutz gesorgt“, wie der stellvertretende Leiter der Berliner Gauck-Behörde, Hans-Jörg Geiger, formuliert. Die Stasi habe mit zum Teil „irrsinnigem Aufwand“ (Geiger) Auslandseinsätze wie die Beschickung Olympischer Spiele abgesichert und durch Sportspionage vor allem in der Bundesrepublik versucht, der DDR Vorteile zu verschaffen.
Umfassende Rekrutierung Inoffizieller Mitarbeiter
Diese Einschätzungen kann Geiger schon jetzt abgeben, obwohl die Stasi-Akten zum Thema Sport von der überlasteten Behörde bisher weitgehend ungeprüft blieben. Dennoch, was sich ihm bisher eher durch Zufallsfunde aus den 180 Kilometern Akten erschloß, liefert das Bild eines vor allem im Sport allgegenwärtigen Geheimdienstes, der 1971 sein Heer von Schnüfflern in einer umfassenden Aktion noch einmal beträchtlich verstärkte. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in München heißt es in einer „Dienstanweisung zur Rekrutierung von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) und Gesellschaftlichen Mitarbeitern Sicherheit (GMS)“ unter anderem:
„Anzuwerben sind Personen aus Sportklubs, Sportschulen, Trainingszentren, Internaten, Sportmedizinischen Zentren sowie Personen aus dem Wohngebiet und den Arbeitsstätten der Leistungs- und Nachwuchssportler, die entsprechend ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten in der Lage sind, Nachwuchs- und Leistungssportler allseitig aufzuklären und einzuschätzen.“ Verpflichtet wurden „auf Grund ihrer Funktionen und engen Verbindungen Trainer, Ärzte, Masseure, Sportjournalisten und technische Mitarbeiter“, dazu Funktionäre, Sportärzte, Sportwissenschaftler und Sportjournalisten, „die durch ihre Verbindungen zu führenden Persönlichkeiten des nichtsozialistischen Sports in der Lage sind, wertvolle Informationen zu erarbeiten“.
Und schließlich sollte es auch verstärkt „Kameradenüberwachung“ geben, wie Geiger es formuliert. Jedenfalls heißt es in der „Dienstanweisung: „Leistungssportler und Nachwuchssportler selbst werden eingesetzt, die auf Grund ihrer sportlichen Entwicklung zum Reisekader gehören.“
Kein Wunder, daß sich in der 176köpfigen Olympiamannschaft der DDR für die Winterspiele 1980 in Lake Placid 35 Stasi-Mitarbeiter befanden, von 61 Aktiven zehn, von 45 Journalisten neun und von 70 Offiziellen 16. Außerdem wurde enge Verbindung zu den Leuten des sowjetischen Geheimdienstes KGB gehalten.
Noch weitgehend unaufgeklärt ist der gesamte Bereich der Sportspionage, vor allem in der Bundesrepublik. Ein Stasi-Dokument spricht von der Notwendigkeit des „Eindringens“ in „Gegenobjekte“. Namentlich aufgeführt werden der Deutsche Sportbund (DSB) in Frankfurt/Main sowie das Bundesinstitut für Sportwissenschaften und die Deutsche Sporthochschule in Köln.
Spätestens seit 1975 gab es bei der Stasi auch im Sport den Begriff der „Gegenspionage“. Da nämlich berichtete ein „IM Neptun“ über die erfolgreiche Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dem war es Ende 1974 gelungen, an geheimes Material über Hormondoping in der DDR zu kommen. Übrigens gelangten die Doping-Berichte des BND damals nur bis zum Bundeskanzleramt, wo sie bis zum heutigen Tag unter Verschluß liegen.
Auch das Doping war von der Stasi kontrolliert. „Die Zielstellung ist die Sicherung der Spitzenstellung des DDR-Sports zur Demonstration der Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung über die kapitalistische durch den Einsatz von u.M. ... sowie die Verhinderung der Nachweisführung der eingesetzten Mittel“, heißt es in den Aufzeichnungen eines IM. U.M. steht für Unterstützende Mittel als Umschreibung von Doping.
Die am FKS in Leipzig eingesetzte „Forschungsgruppe u.M.“ hatte die Dopingmittel auszutüfteln, eine „Zentrale Arbeitsgruppe Geheimnisschutz“ sicherte ihre Vergabe und Kontrolle ab. Aufgefundene Telefonlisten zeigen, daß in der Führungsetage des FKS nahezu 50 Prozent Stasi-Mitarbeiter saßen. Im Kontroll- und Forschungsinstitut in Kreischa, das im Doping-System der DDR eine weitere zentrale Rolle spielte, wurde sogar ein MfS-Offizier als stellvertretender Leiter installiert.
Marlies Oelsner: Ein Doping-Zyklus zuviel
1975 berichtet ein „zuverlässiger IM“ dem MfS über den Fall der Jenaer Sprinterin Marlies Oelsner, die bei der Junioren-Europameisterschaft des Dopings überführt worden war. Als Grund gab der Stasi-Mitarbeiter an, entgegen der Absprachen seien mit Marlies Oelsner, die nach ihrer Heirat unter dem Namen Göhr zur weltbesten Sprinterin aufstieg, in der Trainingsphase drei statt der geplanten zwei Doping-Zyklen vorgenommen und der letzte nicht rechtzeitig beendet worden. „Die erste Reaktion des Genossen Ewald war, daß eine solche Situation eigentlich einmal eintreten mußte“, schrieb der IM auf. Diese Aussage beweist immerhin, daß Manfred Ewald im Gegensatz zu seinen Beteuerungen von den gezielten Dopingeinsätzen im DDR- Sport gewußt haben muß.
Stasi-Chef Erich Mielke höchstselbst hatte die totale Überwachung des Sports angeordnet. Laut einer Niederschrift von einer Kollegiumssitzung des MfS am 19. Februar 1982 sagte Mielke: „Immer mehr wird auch der Sport das Gebiet, wo die ideologische Diversion zum Tragen kommt ... Wir müssen alles erfahren, es darf an uns nichts vorbeigehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen