: Michael Jesus Superstar
■ Mutter Teresa küßt Leni Riefestahl: Michael Jackson im Weserstadion
Krauugg. Bruuuufff. Broaggh. Ziiuuung. Prsscchhh! Die Geburtswehen lassen die Tribüne zittern. Die Menge, die den abgedeckten Rasen des Bremer Weserstadions deutlich mehr belebt als sonst die Werder-Kicker, kreischt. Ein Raketenstück reckt sich in steilem Winkel auf der Super-Mega-Giga-Bühne und entläßt den Geist aus der Maschine. Ist er's oder ist er's nicht? Der silber-goldene Astronauten-Ritter da in der Kapsel macht eine stille, lange Pause. Er ist's, weil nur er sie sich leisten kann. Er, Michael Jackson. Aus dem highmachenden Animationsvideo einer Achterbahnfahrt durch die Zeit entlassen ins Leben. Aus dem Video ins Leben?
Was für eins kann der noch führen. Einer, der noch häufiger als Clintons Bill mit Zivilklagen überzogen wird und so die Glaubensfrage an alle stellt. Einer, der im Kindesalter ins Showbizz' getrieben wurde und seither nicht mehr rauskam. Einer, der rund die um die Uhr von Fans belagert wird, egal wo er ist. What about us? „Meikel, Meikel!“Ik liebe Di! „MEIKEL, MEIKEL!“So machten seine Berater die Not zur Tugend und ihn zum „King of Pop“.
In der technisch aufwendigen, 40 Millionen Dollar teuren, krude inszenierten, dramaturgisch immer wieder einknickenden, aber perfekt auf den Einzeleffekt getrimmten Show aus Licht und Clip und Klang wird die Geschichte aller zu seiner. Es ist „HIStory", an der die Ereignisse zum Bild verkürzt vorbeiziehen. Mutter Teresa, Nelson Mandela oder die Sphinx von Gizeh flackern auf den drei haushohen Videoprojektionen und bedeuten 46.000 Menschen im Stadion, daß vom „King of Pop“kein gewöhnliches Konzert zu erwarten ist. So schwankt die nicht in allen Teilen neue „HIStory“zwischen giga und geil, glänzt in den Gesten und protzt mit dem Pathos.
Das mit den Pausen, die sich endlos hinziehen und die Spannung knistern lassen, kann ihm keiner nachmachen. Genausowenig wie die Gummilastik-Schritte seines aus Chaplins Tramp, Breakdance-Akrobatik und den onanistischen Griffen ans Gemächt zusammengesetzten Moonwalks. Eine Stadt mittlerer Größe kreischt für 76 bis 216 Mark Eintritt enthusiasmiert vor einem Solotänzer – chapeau, Jacko! Der die United Colors of Popkultur – nicht schwarz, nicht weiß, unten Mann und hüftaufwärts weiblich – forever young, doch alterslos auf die Bühne bringt.
Obwohl er sich nahbar gibt und bei den offenen Jackenwechseln beinahe Scherze macht, ist dieser Mensch undefinierbar fern wie die Show. Die größtenteils live – größtenteils live? – gespielten Greatest Hits, die Jahrzehnte umfassen, ihren Schwerpunkt auf den Alben „Dangerous“, „Thriller“und eben „HIStory“setzen und die von den BegleitmusikerInnen in Studioperfektion interpretiert werden, liefern nur einen Vorwand. Die alten und die modisch angeschnellten neuen Songs sind der Vorwand für ein Heilsversprechen, dessen Pathos kaum zu überbieten ist.
Michael Jesus Superstar, auf den sich schon durch das Hochformat der Videowände auf der postmodernen Tempelsilhouette für die meisten im Stadion alles focussiert, stoppt im Showdown einstürzender Wände und anschwellenden Kriegsgedröhns den hineinfahrenden Panzer, um sich wenig später zum Soldatenkönig aller Länder aufzuschwingen und wenigstens als Koloß auf der Videoleinwand völlig unerreichbar zu bleiben.
Krraaugg. Bruuufff. Broaaggh. Ziiuunnngg. Prrsscchhh! Leni Riefenstahl küßt Mutter Teresa. Über ihnen der King of Pop und ein Feuerwerk, das dem zweieinhalbstündigen Videoclip ein Ende setzt.
Christoph Köster
Noch ein Termin: 6. Juni im Bremer Weserstadion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen