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Mexikos Präsident hat den Finger bewegt

■ Der Sieger der mexikanischen Präsidentschaftswahlen vom Juli 1988 wird Carlos Salinas heißen / Die Nachfolge von Miguel de la Madrid ist geregelt, doch im Machtapparat des politisch stabilsten Landes Lateinamerikas zeigen sich Risse

Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - Seit gestern wissen die Mexikaner, wer in den nächsten sechs Jahren ihr Präsident sein wird. Jetzt müssen sie ihn nur noch wählen. Aber niemand zweifelt daran, daß am 1. Juli 1988 der heutige Planungs– und Haushaltsminister Carlos Salinas die Mehrheit der Stimmen erhalten wird. Die linke und die rechte Opposition werden ihre Gegenkandidaten aufstellen. Doch der Kandidat der seit 58 Jahren regierenden „Partei der institutionellen Revolution“ (PRI) wird wie immer sie gen. Nicht daß Mexiko eine Diktatur wäre, wie sie die lateinamerikanische Geschichte zu Dutzenden hervorgebracht hat. Es gibt wohl kaum ein Land im Subkontinent, wo das Militär so wenig zu sagen hat wie in Mexiko. Die Presse ist relativ frei, Parteien gibt es jede Menge und freie, geheime Wahlen auch - mit einem staatlich gesponserten Kandidaten, einem Schuß Bestechung und ein bißchen Wahlbetrug. Was sich irgendwo zwischen Diktatur einer Staatspartei und Demokratie mit pluralistischer Vielfalt ansiedelt, nennen die Me xikaner spöttisch „dedocracia“, Dedokratie. Denn nicht das Volk (griechisch: „demos“), sondern der Finger (spanisch: „dedo“) des scheidenden Präsidenten bestimmt, wer Mexiko regieren soll. Und gestern hat nun der „dedazo“, der Fingerzeig, stattgefunden. Dem Ritual mexikanischer Politik ist damit Genüge getan. Der Präsident, zur Zeit heißt er Miguel de la Madrid, hat auf seinen Nachfolger gedeutet. Ausgewählt hat ihn die Spitze der Nomenklatura der Staatspartei, die sogenannte „revolutionäre Familie“, von der niemand so recht weiß, wer ihr ei gentlich angehört. Der Rest ist Routine, Wahlen mit einem feststehenden Sieger. Seit den dreißiger Jahren wurde auf diese Weise die Nachfolge des mexikanischen Präsidenten geregelt. Doch diesmal gab es zum ersten Mal Ärger. Innerhalb der Staatspartei PRI, die aus der mexikanischen Revolution (1910–1920) hervorgegangen ist, hatte sich letztes Jahr eine Opposition, die „Demokratische Strömung“, formiert. Ihr Anführer, Cuauhtemoc Cardenas, Sohn des legendären Präsidenten Lazaro Cardenas, der 1938 die Erdölindustrie verstaatlichte, forderte seit Monaten offen, daß der Präsidentschaftskandidat seiner Partei der sichere Wahlsieger parteiintern nach einem demokratischen Modus gekürt wird. Der Druck dieses Flügels war so stark, daß sich der Präsident genötigt sah, das traditionelle Ritual zu durchbrechen. Bevor er dem nationalen Rätselraten über seinen Nachfolger mit dem „Fingerzeig“ ein Ende setzte, präsentierte er im August seinem Volk sechs Präkandidaten, die seiner Ansicht nach für die Nachfolge in Frage kommen könnten. In alphabetischer Reihenfolge stellten alle sechs ihr künftiges potentielles Regierungsprogramm vor der Parteispitze unter den Kameras der Fernsehanstalten vor. Erst danach benannte er nun gestern seinen Nachfolger, präziser: den Kandidaten der Staatspartei für die Wahl seines Nachfolgers - per Fingerzeig. Doch diesmal wurde nicht nur das Ritual geändert, dem Präsidenten entglitt auch die Regie des Staatsakts. Energieminister del Mazo, selbst Präkandidat, teilte der Öffentlichkeit mit, Generalstaatsanwalt Ramirez, auch er Präkandidat, sei auserwählt worden und stelle eine „gute Wahl“ dar. Die PRI–Astrologen waren überrascht. Zwar weiß Ramirez wichtige Parteikreise hinter sich, doch der Wunschkandidat des Präsidenten war er nun wirklich nicht. Schon hatte Brasiliens Energieminister dem gekürten Kandidaten wärmstens gratuliert als der Vorsitzende des PRI die Machtverhältnisse wieder richtigstellte und bekanntgab, daß Salinas, ein enger Vertrauter des Präsidenten, Kandidat der Partei sei. Das Gerangel im Machtapparat ist symptomatisch für die Krise des politischen Systems Mexikos. Über ein halbes Jahrhundert lang war das Land zwar keine Demokratie, aber immerhin - im lateinamerikanischen Kontext einmalig - politisch stabil. Diese Stabilität verdankte Mexiko einem korporativen Machtsystem, dessen zentraler Stützpfeiler die Staatspartei PRI und die eng mit ihr verflochtene Gewerkschaft CTM und parastaatliche Bauernverbände sind. Während in den Jahren des Erdölbooms die Pfründenverteilung brechen nun in der schärfsten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren die Gegensätze immer deutlicher auf. Die staatsunabhängigen Gewerkschaften erhalten seit Jahren Zulauf wie nie zuvor. Im Frühling kam es zu den größten Studentendemonstrationen seit 1968. Und mit der Bildung der „Demokratischen Strömung“ zeigt nun auch der Monolith PRI Risse. 1993 - so prophezeien die Mexikologen - wird die Nachfolge des Präsidenten wohl zum ersten Mal in der nachrevolutionären Geschichte des Landes nicht mehr per Fingerzeig geregelt.

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