piwik no script img

Metropolitaner Machtmensch am Millerntor

■ Macbeth – die Bilderhatz jagt das Publikum durch den leeren Bürokomplex

Die Hexen sind überflüssiger denn je. Das Gebäude selbst prophezeit Macbeth den Aufstieg. Im Lichthof des noch leerstehenden Büropalastes am Millerntorplatz 1 nimmt die Tragödie ihren Ausgang. Alles scheint möglich in diesem blitzenden neuen Komplex, der Macht und Aufstieg verheißt. Geradezu zwanghaft wird der Blick von der emporstrebenden Architektur an glatten Chrom- und Glasflächen in die Höhe geleitet, in den Himmel – in die Chefetage. Die labyrinthartigen Gänge des Aufstiegs, in denen das Verirren unvermeidbar ist, sind von hier nur zu erahnen. Wie Schlangen wuchern die Lüftungsrohre in den halbfertigen Räumen; unverlegte Kabel hängen aus dem Putz wie Fallstricke oder Galgenschlaufen.

Das Theaterprojekt Macbeth–Die Bilderhatz verlegt das Shakespeare-Drama um den skrupellosen Aufsteiger und seine Gattin in die metropolitane Geschäftswelt. Idee und Schauplatz faszinieren – und sind von der klassischen Deutung gar nicht so weit entfernt: Die Symbole der Macht sind es, die sich gewandelt haben, nicht die Menschen selbst. Die Auseinandersetzung mit dem Ehrgeiz, auch dem eigenen, hat Michael Bandt, der die Regie führt und am Institut für Theater, Musiktheater und Film studiert, zur Bearbeitung des Stoffes getrieben. „Was kommt von innen, was wird von außen gemacht?“ist für ihn die zentrale Frage des Stückes, in die er die Wirkung gigantomanischer Architektur auf die Menschen einbezieht.

Damit das ganz deutlich wird, hat er auf die gemeinsam mit Marc Becker, dem Autor der modernisierten Textfassung, geplanten „Cyberhexen“verzichtet und dem Gebäude eine Sprache gegeben. Das dumpfe Brummen der Lüftungsschächte und das Surren der Aufzüge werden in einer Toncollage zu Worten und schließlich zu den Prophezeiungen, die die Bilderhatz über mehrere Stockwerke in Gang setzen.

Erfolg ist in einer schnellebigen Zeit nur mit Hast und Eile zu erringen. Symbolisch ist die Szenen-Abfolge auf die Minute genau terminiert. Eine Erzählerin treibt das Publikum in die Aufzüge – doch selbst hier gibt es keine Zeit zum Verschnaufen. Am Ende der Landebahn, deren blinkend sich fortsetzende Randlichter wie ein Sog wirken, steht nur ein Zwischenstopp. Das Ziel ist der zehnte Stock, die Königskrönung, die Chefetage. Hoch über Hamburg gerinnt die Szenerie für einen Moment zum Bild, bevor sie auf ihr schreckliches Ende zusteuert. Zwischen den blinkenden Lichtern erscheinen die Menschen auf der Straße so klein wie Fliegen. „Sie sind so fern, daß sie einem gleichgültig werden“, sagt Michael Bandt. „Vielleicht braucht man diesen Blick, wenn man so weit nach oben will.“

Sabine Claus

Premiere am Sonntag, 8.März, 20 Uhr, Millerntorplatz 1

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen