piwik no script img

Methodische Verunsicherung

■ „Skulpturen“, eine Ausstellung von Kirsten Ortwed in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst: Bronze, Majolika und Wachs - Materialien, die man bei Skulpturen nicht erwartet

Der Titel ist irreführend. Kirsten Ortwed, „Skulpturen“, nennt sich die Ausstellung, die die Gesellschaft für Aktuelle Kunst bis zum 11. September zeigt. Skulpturen sind per definitionem „alles aus mehr oder weniger hartem Material Gehauene oder Geschnitzte“. Wachs und Ton sind in dieser Kategorie fehl am Platze, und sie gehören auch dann nicht dorthin, wenn ihre Erscheinungsform durch Bronzeguß oder keramischen Brand zu größerer Härte gelangt. Eigentlich.

Die Exponate dieser Ausstellung kommen fast ausschließlich in Form von Bronze, Majolika (auch bekannt als Fayence) und Wachs daher. Daß sie dennoch mit dem Begriff „Skulptur“ bekleidet wurden, dürfte kaum an Unkenntnis der Ausstellenden oder der Aussteller liegen, sondern ist Hinweis darauf, daß hier das, was bildhauerische Arbeit konstituiert, allem voran Materialität und ihre Konsequenzen (Beschaffenheit der Oberfläche und Farbigkeit), das Thema ist.Widersprüchlichkeit wird gern in Kauf genommen.

Widersprüchlich ist etwa die Verwendung von Gold-Majolika der Werkstoff läßt zierlichen, geschleckt-glatten Nippes erwarten - für eine Gruppe von drei mugeligen Kugeln, drei ovalen Scheiben auf schrägen Sockelstümpfen, die wie abgeschnittene Elefantenbeine aus dem Boden

ragen, und einer einzelnen, gerundeten Form, mehr Batzen als Kugel. Große, grobe Formen wie von ungeschlachten Riesenpatschern geformt, strahlen, auf dem Boden verteilt, wie Preziosen.

Gold, und sei es in Form von goldgelbem Wachs, bestimmt die vorderen Ausstellungsräume. Die einzige Ausnahme bildet dort die „Bronze und Stapelkarre“. Wie der Titel besagt, stehen auf einem niedrigen Sockel eine oxidgrüne Stapel-oder Sackkarre, beladen mit einem ebenso oxidgrün patinierten, amorphen Bronzeklumpen. Artist-made und Ready-made vereint, Last und Träger spielen ausnahmsweise mal dieselbe Rolle.

Die zu Gruppen versammelten, diversen Ausformungen ein und desselben Werkstoffes, Majolika und Wachs, wirken in der Art, wie sie auf dem Boden oder einem flachen Sockel liegen, wie hingeworfen. Die Anordnung scheint beliebig. Demgegenüber steht der Aufbau einer Gruppe von sechs „Skulpturen“, die auf sechs gleich großen, gleich weißen Sockeln Platz genommen haben.

Die Sockel beherrschen die Szene. Im Zentrum des hintersten Ausstellungsraums stehen sie sich, drei zu drei, gegenüber. Was sich auf diesen Sockeln präsentiert, ehemals wohl aus Wachs gerollt und gedrückt, nun in Bronze erstarrt, ist zur Nebensa

che geworden. Eine leichte Verschiebung in der Betonung, die „Skulpturen“ etwas zu klein, die Sockel etwas zu massiv und zu massiert plaziert: Das Resultat ist eine Verdrehung der Tatsachen - wir besichtigen Sockel.

Mit einer Arbeit von 1985, „Table With Fine Details“, gibt die in Köln lebende, in Kopenhagen geborene Kirsten Ortwed Einblick in ihre Herangehensweise.

Wie auf einem Arbeitstisch liegen die „Fine Details“ auf -und nebeneinander: Ein Sammelsurium verschiedenster „Rohstoffe“ bildhauerischer Arbeit, daneben Werkzeug( -Abgüsse) und Zitate eigener, älterer Werke. Gewissermaßen von hier ausgehend, treibt sie ihr Spiel mit Material, Form, Farbe, Raum, Volumen, Oberfläche und Masse, also all dem, was Skulptur ausmacht. Die „Verbreitung von Unsicherheit“ hat dabei Methode. Im Gegensatz zu Annelie Pohlens Vorwort im Ausstellungskatalog scheint mir jedoch nicht vor allem „das intuitive Wahrnehmen“ herausgefordert, das natürlich den ersten Schritt der Annäherung darstellt. Erst das Wissen darum, wo die Künstlerin den Hebel zur Verunsicherung ansetzt, läßt den Betrachter die Arbeiten in ihrer ganzen Bandbreite erfahren.

S.H.

Gesellschaft für Aktuelle Kunst, bis 11. September.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen