: Metaphysische Fragen
Hochkarätiges Gastspiel: Sasha Waltz von der Berliner Schaubühne mit „noBody“ aus ihrer Trilogie über Mensch und Körper zu Gast beim Laokoon-Festival auf Kampnagel
von MARGA WOLFF
Das sei das Stück, nach dem er Jahre gesucht habe. Mit dieser Feststellung hat Laokoon-Leiter Hidenaga Ottori Sasha Waltz wohl sehr geschmeichelt. Und sicher musste er einiges an Überzeugungsarbeit leisten, um die Starchoreografin von der Berliner Schaubühne zu einem ihrer raren Gastspiele innerhalb Deutschlands zu bewegen.
Nun kommt sie mit ihrer jüngsten, hoch gelobten Produktion noBody zum Abschluss des Festivals auf Kampnagel, reist mit einem 25 Tänzer starken Ensemble in Hamburg an. Aus technischen Gründen finden die Vorstellungen im Deutschen Schauspielhaus und nicht auf Kampnagel statt.
noBody bildet den Abschluss einer Trilogie über den Menschen und seinen Körper. Die Choreografin stellt sich in dem Stück der Herausforderung das nicht Körperliche durch den Körper sichtbar zu machen und rührt dabei an Fragen nach einer metaphysischen Existenz, an Gefühle und Gedanken über Sterblichkeit und Tod, an Erinnerungen an einen verlorenen Körper.
„Ich habe versucht, dieses Paradox zu lösen, indem ich eine sehr große Gruppe von Tänzern gewählt habe“, erläutert Waltz. Aus der Masse der Tänzer löst sich immer wieder das Individuum. Den Gegensatz von dem Einzelnen gegenüber der Gruppe will sie hier jedoch weniger in einem politischen als in einem rein stofflichen Sinne verstanden wissen. „Es geht mir darum“, fährt sie fort, „sichtbar zu machen, dass sich die Grenzen unseres Körpers in etwas Größerem auflösen, so dass ein neuer Organismus entsteht. Ein großes Thema.“ In ihrer Stimme ist immer noch etwas von jener Unfassbarkeit zu spüren, zumal sie sich vor nicht allzu langer Zeit persönlich mit dem Tod konfrontiert sah. „Um das Thema emotional verarbeiten zu können, habe ich mich ihm sehr abstrakt genähert“, sagt sie.
Die Rückkehr oder auch Neuentdeckung der Abstraktion im Tanz kennzeichnet jedoch alle Teile der Trilogie ,körper, S und noBody, wenngleich noBody auch emotionale und narrative Elemente enthält. Nun ist die Transzendenz des Körpers im Tanz ein uraltes Thema. Man denke nur an das klassische Ballett oder auch an die Trancetänze verschiedener Kulturen.
Der moderne Tanz hat sich bislang kaum damit auseinandergesetzt. Doch will Sasha Waltz, deren Name früher stets für handfestes, hoch dynamisches Tanztheater stand, nicht für sich behaupten, eine neue Technik entwickelt zu haben. „Ich glaube“, meint sie, „die Grundfaszination des Tanzes liegt darin, dass der Körper einerseits materiell ist, gleichzeitig das Publikum aber auch die Seele, die Energie spürt.“ Ein ständiger Kreislauf von Entstehen und Vergehen.
Eine prägnante Rolle spielt da in ihren Stücken der architektonische Raum. Beeindruckende Choreografien schuf sie für den noch leeren Bau des Jüdischen Museums in Berlin . Recherchen für noBody begleiteten Bespielungen des Innen- und Außenraums der Schaubühne. Das Stück ist einerseits für die Bühne der Schaubühne und anderseits für den Papstpalast in Avignon konzipiert.
Nach der erfolgreichen Uraufführung im Februar in Berlin wurde die Choreografie jetzt beim Festival in Avignon, welches Koproduzent ist, begeistert gefeiert. Die unterschiedlichen Wirkungen der beiden Räume – der moderne Schaubühnenbau und der mittelalterliche Palast – haben selbst Sasha Waltz verblüfft. „Bilder von Prozessionen und von mittelalterlichen Ritualen“, erzählt sie, „kamen mir an dem religiösen Ort des Papstpalastes in den Sinn, Bedeutungen, die ich nicht geplant hatte. Zudem ist es ein offener Raum, man hat den Himmel über dem Kopf. Aber die klaustrophobische Situation in der Schaubühne ist auch etwas, was ich in Hamburg beschreiben möchte.“
Man darf also gespannt sein, wie das Stück im Schauspielhaus wirkt. Anderthalb Jahre hat Sasha Waltz in dessen Entwicklung investiert. Zeit für die künstlerische Recherche will sie sich auch weiterhin nehmen. Der Produktionsdruck im ersten Jahr an der Schaubühne sei ihrer Arbeit nicht gut bekommen, sagt sie. „Mittlerweile haben wir außerdem ein so großes Repertoire entwickelt, dass wir gar nicht alles spielen können.“ Der Druck war zwar groß – schließlich richteten sich alle Augen der Nation auf die Schaubühne, als Sasha Waltz und Thomas Ostermeier 2000 das Berliner Theater übernahmen. Doch der Erfolg der heute 37-jährigen Choreografin ist ungebrochen. Im Gegensatz zu großen Häusen, die mit Zuschauerrückgang zu kämpfen haben, sind ihre Vorstellungen fast immer ausverkauft. Mit körper, dem ersten Teil der Trilogie, wurde sie 2001 bereits zum zweiten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Doch ist selbst an dieser Renommierbühne der Tanz hoffnungslos unterfinanziert. Zurzeit wird ein neuer Zuwendungsvertrag ab 2004 verhandelt. Die Politik müsse jetzt Farbe bekennen und mehr Geld für den Tanz zur Verfügung stellen, stellt Sasha Waltz klar. Einen Raum zu haben für Experimente, für die kreative Recherche, unter diesem Vorzeichen war die Choreografin an die Schaubühne gegangen. Und viele halten ihre jüngste Choreografie noBody für ihr bisher bestes Stück.
Laokoon Festival: Sasha Waltz/Schaubühne am Lehniner Platz: noBody, 7. und 8. 9. 2002, 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus
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