: Metalmania
■ "Lost In Music": Ein Portrit der deutschen Metal-Szene, 21.15 Uhr, 3sat
„Wenn man das in zehn Jahren sieht, hat man tolle Dokumentaraufnahmen aus den frühen Neunzigern, die es sonst nicht geben würde.“ Da muß man Spex-Autor Hans Nieswandt, konzeptioneller Berater der Musik-Dokumentarreihe „Lost In Music“, recht geben: Von Bravo-TV oder dem ab Weihnachten auf Sendung gehenden Viva-Kanal ist Vergleichbares nicht zu erwarten. „Lost In Music“ ist ein Projekt aus der ZDF-Redaktion Kleines Fernsehspiel, das es auf das Kabel-Stiefkind 3sat verschlagen hat. Bisher liefen zwei Folgen: „Tekkno/Trance“ über die deutsche Techno-Szene zwischen Berlin und Frankfurt und „HipHop Hurray“, eine Beschäftigung mit deutschsprachigem HipHop.
Vor allem die künstlerische Herangehensweise (die natürlich auch finanziell zu Buche schlägt, nämlich mit ca. 180.000 DM pro Ausgabe) unterscheidet Christoph Drehers Beiträge von anderen Musikprogrammen: Da ist kein Moderator, der sich feixend von Videoclip zu Videoclip hangelt, sondern eine dokumentarische, dennoch subjektiv strukturierte Bildergeschichte, die Positionen lediglich durch visuelle Gegenüberstellungen oder Montierungen kommentiert.
Ebenso wie auf den schleppenden Off-Kommentar verzichtet „Lost In Music“ auch auf den Göttinger Musikwissenschaftler und Hobbysoziologen Prof. XY, der noch ein paar schlaue und von Sachkenntnis kaum getrübte Sätze über das Böse im Heavy Metal ablassen darf. Das haben wir, neben der redaktionellen Linie, die Christian Cloos und Claudia Tronnier gegen herrschende Gepflogenheiten im ZDF vertreten, sicherlich auch der Tatsache zu verdanken, daß Regisseur Dreher selbst Musiker ist: Seit über zehn Jahren spielt er Bass bei der Berliner Kultband Die Haut.
Nicht nur bei den Kritikern wurde „Lost In Music“ überwiegend mit großem Interesse aufgenommen – die Sendung erhielt den TV-Innovationspreis „Goldenes Kabel“ der Fernsehzeitschrift Gong –, die ersten beiden Folgen fanden auch für 3sat-Verhältnisse ein verhältnismäßig großes Publikum von je etwa 240.000 Zuschauern. „Ich möchte keinen Versuch unternehmen, ein Thema irgendwie komplett, repräsentativ oder rein dokumentativ darzustellen“, erklärt Christoph Dreher. „Ich versuche schon, einen persönlichen Eklektizismus zu treiben, der aber trotzdem das Gefühl vermittelt, daß er eigentlich ins Schwarze trifft; daß die wichtigsten Leute der jeweiligen Zeit vertreten und auf eine Art porträtiert sind, die sie gut zur Geltung bringt.“
Auch für die neueste „Lost In Music“-Ausgabe mit dem Titel „Metalmania“, die sich mit der deutschen Metalszene und der Entwicklung des Metal im ganzen beschäftigt, hat er sich an diese Maxime gehalten: Im Mittelpunkt stehen Kreator aus Essen, die mittlerweile auch im Ausland Erfolge feiern, und Eisenvater, eine vergleichsweise unbekannte Band aus Hamburg, die über den engeren Rahmen der Metalwelt in den Underground/-Avantgarde-Bereich weist – keine Scorpions, keine Helloween. Hier geht es um Metal-Afficionados, die auch über bedenkliche Tenzenden zum Rechtsradikalen in Teilbereichen ihres Genres etwas sagen können, das über laue Lippenbekenntnisse auf Talk- Show-Niveau hinausweist.
Natürlich muß „Lost In Music“, wenn die Reihe dann endlich von der ZDF-Chefetage eine Chance im Hauptprogramm bekommt, erst noch über eine größere Anzahl von Folgen beweisen, daß sie die Spannung zwischen dem Gesetz der Serie, dem Zwang zur Wiederholung und der Aufbereitung von immer neuen Genre-Themen aushält. „Ich gehe davon aus, daß dieses Genre-Thema irgendwann mal durch sein wird“, gibt ein weiterer konzeptioneller Berater der Reihe, Ralf Niemzyk, zu. „Bei „deutschem Acid-Jazz“ würde ich nach Relevanzkriterien schon die ersten Probleme kriegen. Dann kann man das aber aufbrechen, indem man Themen wie „Labels“, „Vinyl“ oder selbst so was wie „Erfolg“ behandelt.“ Sicher mit Erfolg. Jörg Heiser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen