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Metalltarifkonflikt 1990 „steht auf der Kippe“

IG Metall und Arbeitgeber halten sowohl Einigung als auch Verschärfung für möglich / Gesamtmetall: Warnstreiks „Piesack-Methode“  ■  Von Martin Kempe

Je näher der Verhandlungstermin rückte, desto widersprüchlicher waren die Signale aus den gegnerischen Lagern. Der Metalltarifkonflikt 1990, so hieß es vor dem gestrigen Treffen von Gewerkschaft und Arbeitgebern in Göppigen, „steht auf der Kippe“. Eine Einigung wurde ebenso für möglich gehalten wie eine weitere Verschärfung. Einerseits wurden hinter vorgehaltener Hand bereits Kompromißformeln im Streit um Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung gehandelt, anderserseits legte die IG Metall mit ihren Warnstreiks nach dem Ende der Friedenspflicht am Wochenende noch einmal kräftig zu. Auch bei den Arbeitgebern mischten sich Kampfparolen mit versöhnlicheren Tönen.

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Kirchner, forderte die Unternehmer auf, die mit den Warnstreiks praktizierte „Piesack-Methode“ auszuhalten, um der Gewerkschaftsforderung nach „bedingungsloser Einführung der 35-Stunden-Woche“ entgegenzutreten. Auf der anderen Seite signalisierte der Präsident von Gesamtmetall, Stumpfe, erstmals deutliche Kompromißbereitschaft bei der Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden. Die Arbeitgeber seien bereit, 1993 den Weg weiterer Arbeitszeitverkürzungen fortzusetzen, wenn sich der Abstand zur durchschnittlichen EG-Jahresarbeitszeit von gegenwärtig 114 auf 60 Arbeitsstunden verringert habe.

Die IG Metall hatte schon seit längerem betont, daß zwar „die 35“ im Tarifvertrag enthalten sein müsse, daß aber über die Zeiträume bei der weiteren Arbeiszeitverkürzung geredet werden könne. Kurz vor der gestrigen Verhandlung in Göppingen tauchte eine Kompromißformel auf, die beiden Seiten den Gesichtsverlust erspart: die „Bad Homburger Formel von 1960“.

Damals hatten sich die Tarifparteien bei der Einführung der 40-Stunden-Woche auf einen Stufenplan geeinigt, der sich über fünf Jahre erstreckte. Weil niemand so weit vorausblicken kann, wurde im Tarifvertrag eine Einspruchsmöglichkeit vorgesehen, wonach beide Parteien mindestens drei Monate vor Einsetzen der nächsten Stufe Verhandlungen über eine Verschiebung verlangen können. Wenn es bei diesen Verhandlungen keine Einigung gab, trat die Arbeitszeitverkürzung zum vertraglich vorgesehenen Zeitpunkt in Kraft. Nach diesem Verfahren wurde beispielsweise die letzte Stufe, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 41,25 auf 40 Stunden, um einige Monate verschoben.

Sollte in Göppingen eine Einigung nach diesem Muster zustande kommen, hätte die Gewerkschaft ihre Forderung nach einer vertraglich garantierten Einführung der 35-Stunden -Woche durchgesetzt, die Arbeitgeber dagegen könnten auf Kompromißbereitschaft der Gewerkschaft bei der zeitlichen Ausgestaltung des Stufenplans rechnen. So gilt es inzwischen als wahrscheinlich, daß die nächste Stufe der Arbeitszeitverkürzung dann nicht, wie in den beiden letzten Tarifverträgen, ein Jahr nach dem Abschluß vorgesehen wird, sondern erst später.

Auf diese Weise hätte die Gewerkschaft auch ihr Ziel erreicht, Lohn- und Manteltarife wieder zu entkoppeln. Bei den letzten beiden Abschlüssen hatte sich die Gewerkschaft sowohl bei den Löhnen als auch bei der Arbeitszeitverkürzung auf dreijährige Stufenpläne festlegen lassen und war damit in ihrer aktuellen Manövrierfähigkeit eingeschränkt. Obwohl viele Anzeichen darauf deuten, daß es nicht zu einem Streik kommen wird, gehen in den Betrieben die Vorbereitungen für den Konfliktfall weiter. Dies sei, so wird betont, notwendig, „gerade wenn wir den Streik vermeiden wollen“.

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