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■ Das PortraitMeret Oppenheim

Surrealistin ohne Lobby

Foto: AP

Bereits mit 17 hatte Meret Oppenheim Kunst und Leben vereint: Als „Würgeengel“, einer Art Hexe, die Neugeborenen den Garaus macht. Der hinter schwarzem Humor im Bild versteckte Wunsch ging in Erfüllung – Oppenheim blieb kinderlos. In pillenloser Zeit ein Kunststück, wie sie kurz vor ihrem Tod 1985 resümierte. Hätte die am 6. Oktober 1913 in Berlin-Charlottenburg geborene Wahlschweizerin nicht 1936 ein Frühstücksgedeck in Gazellenfell gehüllt und als „supernaturalistisches“ Objekt in eine Galerie gestellt – der Surrealismus wäre ohne Leitbild geblieben. Statt dessen wurde die Pelztasse zum meistzitierten Kunstwerk einer Bewegung, die sich sonst eher auf Theorie und Traumdeutung verstand. Bei Oppenheim nahmen Traum und Wunsch jene unmittelbare Form an, die der Chef-Surrealist André Breton von der Kunst als Arbeit gegen „die Herrschaft der Logik“ gefordert hatte. Daß „Le déjeuner en fourrure“ den Frauenakt beim „Frühstück im Freien“ des Impressionisten Édouard Manet aufs Korn nahm, war dem an Freud gefestigten Denker entgangen. Selbst 1959 fiel Breton nicht die Ironie auf, als sie das „Frühlingsmahl“ mit einer nackten Frau wiederholte.

Doch im Bund der Surrealisten war für Frauen kein Platz vorgesehen. Trotz Pelztasse galt Meret Oppenheim in erster Linie als exzentrisches Modell: eine Muse aus dem Reich des Unbewußten, die Man Ray zur Fotosession vor einer Druckerpresse plazierte (später setzte Oppenheim dem Akt-Portrait eine Röntgenaufnahme ihres Kopfes entgegen, Man Ray wurde zum X-Ray).

Die einseitige Produktionspaarung war von entsprechend kurzer Dauer, 1937 kehrte die Künstlerin nach Basel zurück — mit angeschlagenem Selbstwertgefühl und Depressionen, die bis in die fünfziger Jahre anhielten. Für ihre Vorstellungen von der Kunst als freiem Lebensstil schien sich in der Männerwelt niemand zu interessieren. Nur in Leonor Fini, einer anderen Außenseiterin, fand Oppenheim kreative Unterstützung. Erst mit der Frauenbewegung wurde die krisengeschüttelte Vorzeigedame zur engagierten Feministin, die sich in Reden ihren Wortwitz zur Waffe machte: „Man sollte sich daran erinnern, daß es Eva war, die zuerst vom Baum der Erkenntnis, also des bewußten Denkens, gegessen hat.“ Harald Fricke

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