: Mephista als Springwurz, Faust als Beigabe
■ Das interszenale Gemeinschaftswerk der Breminale: Faust Eins als Stück für welches Volk?
Was vor zwei Jahren der große Weser-Klang-Corso, was im letzten Jahr Blaumeiers Aufbruch mit Luise vom HBF nach Amerika war, in diesem Jahr war's Faust Eins: die eine spartenübergreifende Breminaleproduktion, die alle Szenen zusammenführte zwischen Waller (Jürgen, HdK-Rektor und Kostüm-und Bühnenbildner, da hat er sich allerdings mit Großbildprojektionen arbeitssparend aus der Patsche geholfen) bis Virulent Violins (kriegen ihr Lob später), zwischen Cafe Grün-Dunstkreis mit Max Schmalz als papierlüsterner Wagner ( Knöpfstiefel, Sterntalerhemd mit Einblick bis zum schwarzen Slip) und Regisseur Hans Peter Renz, der
schönen Bedienung aus dem Ambiente als Schutzengel (ach, Neehaarika Donau heißt die) und dem latino-bremensischen Clowns-Theatralikern Erwi, Alwi und Francesca de Martin. Das Zelt war sogar für 11 Uhr nachts ausverkauft und sogar der Regen zahlreich erschienen und trommelte auf dem Zeltdach um Einlaß.
Faust als Volkstück sollte es sein mit Musi, Gesang, Tanz, Witz, Satire und gebrochenem Ernst, also das, was die company mit Shakespeare macht und Andras Fricsay am Bremer Schauspiel mit ihm versucht. D.h. am Ernst scheiden sich die Geister und die Inszenierungen. Die Sha
kespeare Company nimmt ihren Meister bitter ernst, sieht, was ihn im Innersten zusammenhält und schlägt ihren Witz daraus.
Schauspielhaus und Off-off-Zelt Bühne nehmen dagegen ihren Klassiker nicht ernst sondern als Material zum Verarschen: da
wird die alte Hochsprache verhohnepiepelt, damit auch der letzte merkt, wie hoch sie ist. Szenen und Charaktere werden vom
Kopf auf den Schwanz gestellt, nach Maßgabe der Skurrilität, die sich ihnen so abgewinnen läßt.
Das klingt jetzt bißchen grämlich. Die Produkte, die so entstehen, sind dennoch verschieden, und den Faust I habe ich eher vergnüglich gefunden. Nicht wegen der ausschlachtenden Herangehensweise, sondern gegen sie.
Gut, Faust (Edgar Mielke) hat keinen faustischen Drang, sondern ist vor lauter Grübelei nicht mehr imstande, Beine oder Lenden zu nutzen, Mephisto ist eine Frau, die, egal jetzt mal, warum, nur scharf auf den gichtigen Faust ist und eifersüchtig auf Gretchen. Marthe Schwerdtlein (Rose Hegenscheidt) ist eine geile, alte Spießerin, die in scheußlichem Aerobicanzug den Marktwert ihres welkenden Fleisches zu erhalten sucht. Alles nach Richard Roglers: Egal jetzt mal warum. Warum also nicht. Warum also auch nicht die Hexen als Dominas, dem Regisseur gefällt halt schwarzes Leder.
Gewiß, das ist außer postmodern beliebig auch noch ein bißchen was-sind-wir-doch-so-alternativ-bürgerschrecklich und hätte uns sicher nicht eineinhalb Stunden auf den Sitzen gehalten. Aber gelohnt hat sich's für Gretchens (Lisa Barenkamp) keuschen schiefen Ton am Ende ihres Königs von Thule, für die virulenten Violinensägen, süß und schräg gezerrt, mitten ins Sonnengeflecht und für Francesca de Martins Mephista: ein omnipräsenter Springwurz von einer Clowness, in ihrem höllisch unverständlichem Deutsch körpersprachlich so glasklar verständlich wie bei ihrem italienischen mingle-mangle aus anima und corpore, tierisch gut als tierisch unerlöster Pudel, mit einem Wort: voll des Pudels Kern. Die Inszenierung als Beigabe mitzunehmen.
Uta Stolle
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