: Memmingen/Bremen: Aufrecht zur Abtreibung
■ 250 BremerInnen diskutierten mit dem Memminger Frauenarzt Dr. Horst Theissen über die Folgen seines Prozesses in Bremen Pro Familia befürchtet neues schlechtes Gewissen bei ungewollt schwangeren Frauen / Forderung nach Abschaffung des 218
Ist Memmingen auch in Bremen möglich? Sechs Bremer Frauenpolitikerinnen und der Memminger Frauenarzt Dr. Horst Theissen gingen am Mittwoch abend auf dem Podium des Konsul -Hackfeld-Hauses dieser Frage nach. „Ja“, meinte ein gewerkschaftlich organisierter Strafrichter aus dem über 250köpfigen, überwiegend weiblichen Publikum, „Memmingen ist auch in Bremen denkbar, wenn auch nicht zu erwarten.“ Schließlich gilt der § 218 nicht nur in Bayern, und strafrechtliche Überprüfungen einer Notlagenindikation hat
es auch nördlich des Mains schon öfter gegeben. Memminger Verhörmethoden seien jedoch von der „liberalen Bremer Justiz“ nicht zu erwarten.
Auch die Bremer Vorsitzende von Pro Familia, Brigitte Honnens, wußte von Fällen zu berichten, in denen der § 218 auch in Norddeutschland gegen Frauen angewendet wurde. Trotzdem sieht sie die Hauptgefahr auf einem anderen Gebiet: „Nach dem Memminger Urteil gehen viele Frauen auch in Bremen nicht mehr mit aufrechtem Gang, sondern wieder mit schlechtem Ge
wissen zu einer Abtreibung“, weiß sie aus der Beratungspraxis bei Pro Familia. Dabei hätten alle Debatten um den § 218 in den vergangenen 15 Jahren doch zumindest zweierlei gelehrt: „Ungewollte Schwangerschaften werden entstehen, solange Männer und Frauen Sexualität miteinander haben, und wenn eine Frau dann wirklich abtreiben will, kann es keine falsche Entscheidung sein.“
Ein Mitglied der Bremer §-218-Gruppe beschrieb die Auswirkung des Memminger Prozesses so: „Immer mehr sehen wir Frauen uns gezwungen, Gründe aufzuzählen, um eine Abtreibung zu rechtfertigen.“ „Zieht Euch nicht selbst in Zweifel“, riet sie,
„kein Dritter hat das Recht, über unsere Gründe zu richten.“
Doch von der Entscheidung der Frau ist auch im 1976 reformierten § 218 keine Rede. Nicht ihr Willen, sondern das Einhalten eines formalen Instanzenweges interessiert die Justiz, wie nicht erst der Memminger Prozeß gezeigt hat. Deshalb gab es am Mittwoch auf dem Bremer Podium schnell Einigkeit: Der § 218 muß ersatzlos gestrichen werden.
Gerda Lehmensiek von der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen und Carola Schumann von den Grünen verwiesen auf die entsprechenden Beschlüsse ihrer Parteien. Brigitte Honnens von Pro Familia wies auf einen positiven Nebenef
fekt des Memminger Prozesses hin: „Selten haben so viele zugehört, wenn es um den § 218 ging. Die Situation ist günstig für unsere Forderung nach ersatzloser Streichung.“ Und Dr. Theissen rief in seinem Schlußwort zu einem „neuen Zusammenschluß gegen den § 218“ auf.
Nur eine kleine Gruppe „LebensschützerInnen“ klatschte nicht mit. „Das Embryo hat eine Seele und ruft um Hilfe“, wußte die CDU-Abgeordnete Karin Stieringer der Versammlung zu berichten, „ich meine, daß keine Frau das Recht hat, über eine Abtreibung zu entscheiden.“ Und ein älterer Mitstreiter bat „zu bedenken, daß zwischen Abtreibung und Kindstötung nur ein gra
dueller Unterschied ist“. Ein junger Logiker vom Bremer Mutter-Kind-Haus pflichtete ihm bei, denn „die einzig mögliche Definition für einen Menschen ist, daß seine Eltern Menschen sind“ - jede Abtreibung sei folglich „Tötung von Menschen“.
Die marxistische Gruppe hatte den Spieß auf ihrem Flugblatt umgedreht: „Der Staat fordert Menschenleben“, titelte sie. „Der § 218 bestimmt: Kinderkriegen ist keine Privatsache. Das Abtreibungsverbot sichert den staatlichen Anspruch auf die Verfügung über taugliches Menschenmaterial“, erklärte eine MGlerin die gewohnt zynische These - und bekam dafür ungewohnten herzlichen Beifall.
Ase
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