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Melo over the top

■ Klassiker aus Genreversatzstücken: John Woos Chinese-Blood-Opera The Killer im Original

Sieht man The Killer zum ersten Mal, bleiben gemischte Gefühle. Ähnlich wie Sam Peckinpah treibt John Woo in dem Thriller von 1989, der nun vom Rapid-Eye-Filmverleih in der Originalversion mit Untertiteln in die Kinos geschickt wird, sein Blutballett auf die Spitze: Extreme Zeitlupen zeigen die Wirkung von Kugeln auf Körper. Ähnlich wie bei Peckinpah versteifen sich aber die Personen auch in den ruhigen Szenen in Stil und Posen. Von kitschigem Canto-Pop unterlegt, steht etwa der Killer (Chow Yun-Fat) in der Abendsonne und raucht schmuck ausgeleuchtet ein Zigarette. Wenn das für heutige Augen cooles Gefühlsdesign erinnert, dann liegt das vermutlich daran, daß John Woo von der Werbung ebenso geschätzt wird wie von Quentin Tarantino.

Es gibt ganz unterschiedliche Motive, John Woo zu zitieren. Denn die meisten der 20 Filme, die John Woo in Hongkong gedreht hat, destillieren ihrerseits Versatzstücke. So ist der einsame Killer ein Wiedergänger von Alain Delons eiskaltem Engel. Beide heißen Jeff, und beide sind schön bis zur sexuellen Zweideutigkeit.

Die Handlung von The Killer ist die eines Melodramas. Denn der Killer verrichtet seine Arbeit, um einer blinden Sängerin, der Verkörperung des Melodramas schlechthin, eine Augenoperation zu finanzieren. Diese hanebüchene Motivation der Handlung erinnert an Douglas Sirk. Wie Die wunderbare Macht (1953) geht es in The Killer um die Verwandlung eines Menschen. Und wie bei Sirk ensteht ein anrührendes Melodram, dessen Logik sich allenfalls aus der Montage der Genreversatzstücke ergibt. Insofern wird The Killer auch als der Film John Woos bezeichnet, den Douglas Sirk gerne gedreht hätte.

All diese Verweise sollen aber nicht andeuten, daß John Woo ein Eklektiker sei. Vielmehr zieht er ungewöhnliche Verbindungen in der Filmgeschichte, die man in unserem Kulturkreis gerne übersieht, und stellt diese in den Rahmen einer chinesischen Oper.

Volker Marquardt

Abaton

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