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Meister werden die anderen

„Ich mach doch nicht den Affen für die Öffentlichkeit“: Nach dem 3:0 in Leverkusen meidet Schalke jedwede Koketterie mit dem Titel wie der Teufel das Weihwasser und flieht das Anspruchsdenken

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Wer hat die Krise und wer nicht? Vorher war Schalke vier Spiele ohne Tor, die Darbietungen grauslich. Für die Ligasphinx Leverkusen dagegen konnten die Voraussetzungen nicht besser sein: „Wer in Dortmund besteht“, hatte Cheftrainer Berti Vogts nach dem 3:1 vor zwei Wochen erklärt, „darf zu Recht mit breiter Brust herumlaufen.“ Und dann legten die Bayern nachmittags auch noch mit einer schönen Niederlage vor.

Aber der Verfolger spielte so hühnerbrüstig, dass es eine Beleidigung fürs Federvieh war. „Wir hatten keine Chance“, wusste Vogts, „in keinster Phase.“ Angst? Das wollte niemand bestätigen. Man möchte einen Seelendoc empfehlen, aber in Mental-Coach Gering hat Bayer ja eh schon einen im größten Trainergespann seit Erfindung des Übungsleiterscheins.

„Aussetzer“ hatte Jens Nowottny entdeckt. Bernd Schneider glaubte, „den Faden verloren“ zu haben. Sie hatten ihn nie. Vogts, immer noch mit dem verlässlichen Duktus des Beleidigten, monierte, er habe wegen Länderspielabstellungen „die ganze Woche nicht einmal mit dem kompletten Kader trainieren können“. Um gleich hinterher zu sagen, das sei als Entschuldigung aber „zu billig“. Rudi Assauer, Schalkes Manager, assistierte: „Bei uns war der Trainingsplatz auch sehr leer.“

Rätsel Bundesliga, Mysterium Fußball. Nichts bedeutet irgendwas. Schlüsse zu ziehen, Erkenntnisse in die Zukunft hochzurechnen: alles falsch. Das Hier und Jetzt zählt. Und das Ergebnis, das nackte.

Rudi Assauer war das beste Beispiel. Bloß nicht freuen übers 3:0. Je spektakulärer der Sieg, desto cooler hat man zu wirken. „Ich mach doch hier nicht den Affen für die Öffentlichkeit“, dozierte er zwischen zwei Zügen an seiner torpfostendicken Zigarre. Sonst werde wieder von Meisterschaft geredet. Und wenn das nächste Spiel nicht so gut laufe, „dann heißt es wieder: Krise“. Also: „Ich freu mich höchstens leise für die tolle Truppe.“

Sein Trainer Huub Stevens ergänzte kongenial: „Am besten ist nichts sagen, da kann man auch nichts Falsches sagen.“ Und also redete er nur, etwa vom „Kompliment für das Zusammenraufen der Mannschaft“, dass Schalke „kein Titelkandidat“ sei.

Wir glaubten die Phase überwunden, als niemand Meister werden wollte. Jetzt ist sie wieder da. Obwohl: Leverkusen will ja. Aber scheint mal wieder nicht zu können. Vogts fragt: „Was nützt eine Erklärung?“ Und antwortet selbst: „Nichts.“ Ob er denn irgendetwas uns gemeinen Zuschauern Verborgenes gesehen hätte, das ihm gefallen habe, das Hoffnung mache, wollte der Reporter dieser Zeitung wissen. Vogts erklärte tapfer „die erste Phase, die ersten 20 Minuten“ für zufriedenstellend. Dann fahndete er vergeblich nach weiteren Erfreulichkeiten.

Um es kurz zu machen: Da waren auch keine. Gar keine. Selbst der Wille, höchste deutsche Fußballtugend, fehlte Bayer völlig. Die Abwehr stand nicht gut, sondern oft staunend herum. Angriffe im Joggingtempo. Lustlos. Harmlos. Grenzenlos inspirationslos. Beleidigend fürs Auge waren die Versuche von Carsten Ramelow, seinen Feind, den Ball, zu bändigen. Wenn der gelernte Abräumer sich im Spiel nach vorne versucht, was erschreckenderweise am Samstagabend seine Aufgabe war, erinnert das schmerzend an den früheren Brachialtechniker Uli Stielike.

Schalke hatte eine freche Demonstration moderner Fußballkunst geboten. Unverschämt selbstsicher in der Abwehr, als wären Leute wie Neuville, Kirsten oder Ze Roberto unbekannte Nachwuchsspieler. Variabel im Mittelfeld – mal scheinbar desinteressiert, dann plötzlich explodierend. Und vorne: Wer war an diesem Abend weltklassiger, Sand oder Mpenza? Des Belgiers spektakuläres 0:2 war in Entstehung (Doppelpass per Brusttupfer), Dynamik und genialer Vollendung derart perfekt, dass man eigentlich schon am 31. März das Tor des Jahres gesehen haben müsste, wenn nicht das deutsche Fußballherz mehr für zufällige Gewaltschüsse schlüge.

Auch zur 20:15-Zeit hatte es vorher stadionweit fanblockübergreifende Demonstrationen für eine einheitliche Anstoßzeit 15 Uhr 30 gegeben. Ein Transparent: „Schalke und Bayer 04 – wollen wir um halb vier. Morgens Aronal. 15 Uhr 30 Fußball. Abends Elmex.“

Immerhin, solch ersehnter Tagesablauf sorgte zu später Elmex-Zeit für die Erkenntnis des Abends. Schalkes Fans, die während des Spiels vergeblich versucht hatten, mit „Berti raus“-Chorälen die lethargischen Leverkusener Anhänger aufzustacheln, besangen glückselig die nächtliche Tristesse von Bayer-City: „Ihr habt die Pillen – wir hamm die Punkte.“

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