■ Kolumne: Mein Y2K- Bärchi
Kennen Sie Harry Lookofsky? Die Antwort sagt etwas über Ihr Alter beziehungsweise die Akribie, mit der Sie Plattenhüllen oder CD-Booklets lesen. Denn kaum jemand kann mehr Einträge in den einschlägigen diskographischen Nachschlagewerken aufweisen als dieser Mann, der über mindestens zwei Jahrzehnte (60er und 70er) zu den begehrtesten Studio-Geigern der USA gehörte. Kaum ein Disco-Produzent möchte auf seinen Violinenstrich verzichten, nicht weniger präsent war Lookofsky in den Genres Singer/Songwriter, Westcoast-Pop oder Easy Listening.
Sowohl wegen dieser Omnipräsenz als auch aufgrund seines originellen Namens wurde Lookofsky seinerzeit für mich als beginnenden Plattensammler zum Faszinosum. Mein Interesse wuchs noch, als ich herausbekam, daß er nicht nur Produzent des ersten Albums der Gruppe The Left Banke war, sondern auch der Vater von deren Pianisten und Songschreiber Michael Brown ist, dem als Vierzehnjährigen mit „Walk Away Renee“ und „Pretty Ballerina“ zwei Welthits glückten.
Als ich auf der Innenhülle einer älteren Atlantic-Platte in der nach Nummern geordneten Liste lieferbarer Atlantic-Veröffentlichungen das Album Harry Lookofsky – Stringville entdeckte, stand fest, daß ich diese Platte würde besitzen müssen. Es blieb der am schwierigsten zu erfüllende Wunsch meiner Platten-Suchliste. Second-hand-Höker auf dem ganzen Globus schüttelten bedauernd den Kopf, zweifelten gar die Existenz der Platte an. Jetzt halte ich sie endlich in den Händen.
Dieses fundamentale Ereignis soll Grund genug sein, ein wenig Reklame für „eBay“ zu machen, das Online-Auktionshaus aus San Francisco, das mich zum glücklichen Stringville-Besitzer machte. Für jene Nerds, deren Lebenszweck das Sammeln ist, ist eBay (www.ebay.com) der Garten Eden, beziehungsweise das erträumte Einkaufszentrum voller verwunschener, staubiger Läden voll altem Kram, das nie ein Investor bauen wird. Obwohl die Mindestgebote meist erstaunlich zivil sind, scheint Geld dort allgemein keine Rolle zu spielen. Oder wie ist es zu erklären, daß der komplette Set der Pearl Jam-Weihnachtssingles einen Preis von einer Milion Dollar erzielte?
Aber wahrscheinlich treibt der Sammelwahn sowieso mehr Menschen in den Ruin als irgendein anderes Laster. Jeder fünfte Deutsche soll sein Konto mit mehr als 35 Tausend Mark überzogen haben, las ich gerade. Die Kröten gehen eben doch nicht für sinnvolle Dinge wie Whirlpools, Porsches oder Tauchtrips am Great Barrier Reef drauf. Sondern für Sport-Memorabilia. Oder Plüschtiere: Das begehrteste Objekt bei eBay sind derzeit die drei streng limitierten „Millennium“-Bären der Firma Y2K (Jahr 2000). Es leben offensichtlich viele tausend Menschen auf diesem Erdenkloß, die gerne mehrere Monatslöhne gegen so ein Kuscheltier eintauschen würden.
Eigentlich ein schöner Plot für Verschwörungstheoretiker: Der Jahr-2000-Crash wird ausgelöst durch einen explosionsartigen Anstieg der Privatverschuldung, weil jeder einen von diesen Y2K-Bärchis will. Daniel Clowes und die Zeugen Jehovas werden sich bestätigt fühlen. Detlef Diederichsen
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