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„Mein Papa kann Weihwasser machen“

■ Internationaler Kongreß verheirateter Priester: mehrere zehntausend Mitglieder zählt die Bewegung gegen den Zölibat / Vor allem in afrikanischen Ländern wird munter geheiratet / Aber viele verschweigen der Amtskirche ihr sündiges Tun / Die Angst vor Diskriminierung gibt es immer noch

Aus Doorn Heide Platen

Annemarie und Joseph Augustin, Jerome Dominique und seine Frau Myrtha sind zusammen aus Haiti angereist in das niederländische Städtchen Doorn bei Amersfoort. Mitten in der Heidelandschaft haben sich 200 Frauen und Männer aus 18 Ländern der Welt für eine Woche zum zweiten Kongreß der „Internationalen Föderation verheirateter katholischer Priester“ zusammengefunden. Die meisten der Männer sind oder waren katholische Priester, die Frauen sind mit ihnen verheiratet, verlobt oder ihre Freundinnen. Einige von ihnen zelebrieren immer noch die Messe, halten Gottesdienste ab. Sie haben ihrer römisch-katholischen Amtskirche den Verstoß gegen den Zölibat, den bis in das 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurückgehenden Zwang zur Ehelosigkeit, bisher verschwiegen.

Einer der Gründe dafür sei, sagt der Präsident des Internationalen Komitees, der Belgier Bert Peeters, die Angst vor der Arbeitslosigkeit. „So ein Mann, der 40 bis 50 Jahre alt ist, der findet heutzutage so schnell nichts anderes.“ Die Bewegung hat inzwischen 20.000 Mitglieder in den USA, 10.000 in Frankreich, 4.000 in der Bundesrepublik. Die höchste Anzahl verheirateter Priester gebe es in den afrikanischen Ländern. Peeters: „Für die ist das dort gar kein Problem!“ Und dagegen könne wohl auch der Vatikan nicht an. Viele der Frauen und Männer haben inzwischen eine neue geistliche Heimat gefunden. Sie sind zum altkatholischen Glauben konvertiert, der den Zölibat nicht kennt. Deshalb ist Ehrengast auch ein leibhaftiger Bischof, der sein Grußwort mit „God bless you!“ beendet.

Was ist dran an den Männern, die seit einigen Jahren das Interesse der Öffentlichkeit erregen als unkeusche Priester, weil sie dem Vatikan trotzen und ihre beichtväterliche Jungfräulichkeit um der schnöden Fleischeslust an unzüchtige Frauen hingaben? Sie sind, scheint es in Doorn, vor allem ein Illustriertenthema. Hier fällt nur auf, daß ehemalige Priester agil, lebendig, locker wirken und selten dick sind. Anzüge tragen sie keine, mehr gemäßigten Freizeitlook.

Und welche Frauen verlieben sich - ausgerechnet - in Priester? In Doorn sind es: schicke Italienerinnen, ondulierte Amerikanerinnen - eine bunte Mischung. Die Kinder, die wie bei einer Grünen-Versammlung herumturnen, aber besser betreut werden, sind fast alle im schulpflichtigen Alter. In den Jahren 1965 bis 1975, erklärt Präsident Peeters das, habe es „einen besonders großen Schub“ heiratswilliger Priester gegeben. Die hätten ihren Kampf um Exkommunikation und Dispens mit der katholischen Kirche inzwischen durchgestanden und seien „relativ selbstbewußt“.

Die Männer scheinen die idealen Familienväter zu sein. Unüberhörbar erzählen sie bei den Tischgesprächen stolz über ihre Frauen, ihre Kinder, über den emotionalen Halt, den ihnen die Familie gibt. Jedes neue Paar wird mit Wohlgefälligkeit überschüttet - auch als sichtbarer Triumph über die Amtskirche. Alle Ehepaare tragen Namenskärtchen mit den Namen beider Partner. Beim Adressentausch notieren die Männer ganz selbstverständlich den Namen ihrer Ehefrauen dazu. Sie scheinen sich ständig ihrer Unverrückbarkeit als Paar vergewissern zu wollen. Berührung ist ihnen wichtig. Immer wieder werden die eigenen und andere Kinder - manchmal bis zu deren Überdruß - gestreichelt. Selten wohl beginnen in anderen Zusammenhängen so viele Männer so viele Sätze mit den Worten: „Meine Frau hat gesagt...“

Die Bewegung, die sich ursprünglich gegen den Zölibat richtete, hat bei diesem Kongreß auch allgemein kirchenpolitische Forderungen. Und die gehen an die Substanz der Amtskirche. Das Einführungsreferat des niederländischen Theologen, Prof. N. Schreurs, stellt die Rolle des Priesters als hierarchischer Instanz in Frage. Er müsse vielmehr „Vermittler“ spiritueller Erfahrungen sein. Da ist in der Diskussion vom Dienst an der Gemeinde, von Service, Lebensnähe und „in der Welt sein“ die Rede. Ein Redner erinnert an die Arbeiterpriester der 50er Jahre, die „den Menschen nahe“ gewesen seien. Auch der Zölibat sei Überheblichkeit, eine Entfernung aus der gesellschaftlichen Realität.

In der deutschsprachigen Arbeitsgruppe wird am Montag nachmittag konzentriert und offen diskutiert. Eine Münchner Studienrätin, seit 20 Jahren mit einem ehemaligen Priester verheiratet, „eine der ältesten“ dieser Ehen, ist zurückhaltender und pessimistischer als die jüngeren Frauen. Sie fürchtet noch immer die Diskriminierung, auch für die Kinder. Zwei Priester, die mit ihren Frauen nach der Heirat in Österreich „vor Ort“ geblieben sind, haben bessere Erfahrungen. Seine Tochter, berichtet einer, habe im Gegenteil ihre MitschülerInnen im Kampf um die väterliche Reputation ausgestochen: „Mein Papa kann Weihwasser machen!“ Das sei für ihn der Moment befreienden Gelächters gegen alle Angst gewesen: „Alles, was man mit einem wirklichen Lachen beantworten kann, war ein Götze.“

Der Vorsitzende des bundesdeutschen Verbandes, der sich vor anderthalb Jahren gegründet hat, Klaus Thoma, möchte sich „mit dem Quatsch von Zölibat“ am liebsten gar nicht mehr befassen. Die Positionen seien längst ausdiskutiert. „Eben“, merkt ein noch amtierender Theologe aus Hessen an, „bei den anderen auch, nur mit anderem Ergebnis.“ Er wird der Kirche demnächst mitteilen, daß er eine Freundin hat und sein Amt aufgeben will. Die Gruppe diskutiert den in der Versammlung geprägten Begriff der „Vermittlung“ als Aufgabe des Priesters. Sie einigt sich darauf, daß „Befreiung“ dazu kommen müsse. Der starre Gottesbegriff wird dabei oft ersetzt durch die „spirituelle Substanz des Christentums“, die Ehrfurcht vor dem „letzten Geheimnis“, das es als Lebenserfahrung zu vermitteln gelte. Monica Streicher -Pachmann aus Erfurt sprüht dabei vor Energie. Ihren Mann, den Priester, hat sie daheim gelassen. Er hütet das Kind. „Ich weiß nicht“, sinniert sie, „ob ich dann nicht auch Priesterin bin!“ Frauenkordination ist für sie „seit Jahren kein Thema mehr“. Andere Frauen sind da vorsichtiger: „Also ich weiß ja nicht, was da noch auf uns zukommt!“ Sie haben andere Probleme als die Männer und diskutieren darüber in ihren eigenen Gruppen.

Der Wiener Psychotherapeut Richard Picker geht aus einem anderen Grund mit sich ins Gericht. Als er mit dem Zölibat gebrochen habe, erinnert er sich, hatte er „überhaupt keine Kraft, Freundinnen zu haben.“ Die Erotik habe er „übersprungen“: „Die Heirat war das Optimale, was ich überhaupt hingekriegt habe.“ Jede weitergehende Regelverletzung hätte ihn damals wahrscheinlich „in die Hölle“ gebracht. „Meine Frau“, sagt Picker, „hat das nicht gerade als Kompliment empfunden.“

Ungläubige Empörung löst der Bericht eines tschechoslowakischen Priesters aus. Er berichtet, daß die katholische Kirche zum Widerstand gegen den Kommunismus händeringend Priester gesucht habe. Rund 30 Männer seien in den 80er Jahren rekrutiert und geweiht worden, ein Drittel von ihnen verheiratet. Sie hätten auch amtiert, müßten jetzt aber um ihre Zukunft bangen.

Chris Jones, die stellvertretende Vorsitzende des bundesdeutschen Verbandes, formuliert eine Stellungnahme der Gruppe: „Die Gemeinde kommt zuerst, nicht der Amtsträger. Die Gemeinde muß das Recht haben, mitzureden.“ Eine gewisse Hierarchie und Autorität stellt sie dabei nicht in Frage, aber: „Dieser Priester muß einen lebendigen Glauben haben... ein menschliches Gesicht.“

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