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Mehr als persönliche Erinnerung

■ „Junge Hunde“: Ralf Knicker zeigt „Memory“ auf Kampnagel

Wir befinden uns auf einem Dachboden. Das ist zunächst ganz real zu verstehen, denn wir sitzen in einem Raum unter dem Dach der Halle 1 auf dem Kampnagel-Gelände. Dann aber poltert der Schauspieler Ralf Knicker die Treppe hoch, entdeckt diesen Raum wie mit den Augen eines Kindes, dem alles, selbst das Banalste, aufregend erscheint, und beginnt, angeregt von realen oder auch nur imaginierten Gegenständen, von Erinnerungen zu erzählen.

Damit verwandelt Ralf Knicker den Raum denn auch im übertragenen Sinn in einen Dachboden. Denn über seine Funktion als Abstellraum hinaus kann so ein Platz unter dem Dach ja auch etwas anderes sein - ein Ort, an dem man Vergangenheit entdeckt, an dem man sich erinnert.

Der Vorgang des Erinnerns behandeln Ralf Knicker und Regisseur Heinrich Rolfing in ihrer Performance Memory, die am Sonntag in der Reihe mit Arbeiten junger Regisseure „Junge Hunde im Mai“ Premiere hatte, nicht abstrakt, sondern stets konkret.

Ralf Knicker denkt sich den Werkzeugkasten seiner Kindheit zurück. Er kramt in seinem Gedächtnis nach alten Geschichten. Er führt ein Memory-Spiel als schwierige und spannende Entdeckungsreise vor. Das alles kommt unprätentiös, stellenweise durchaus komödiantisch und vor allem bei aller Spontanität wohldurchdacht daher.

Außerdem muß man Ralf Knicker ein großes Kompliment machen: Er hat ein Gespür dafür, Bilder nicht einfach zu beschreiben, sondern sie erzählend im Zuschauer entstehen zu lassen. So hat man nicht das Gefühl, einem inszenierten Geschehen zuzusehen. Vielmehr erfährt man sich als Zeuge von real geschehenden Erinnerungsvorgängen. So beginnen sich auch vor dem geistigen Auge des Zuschauers während des Zusehens und Zuhörens Erinnerungen zu entwickeln.

Gegen Ende fällt ein Ortsname, der dem Thema Erinnerung alles Unschuldige und Kindheitswarme nimmt: Auschwitz. Ralf Knicker berichtet von einer Zugfahrt in diese Stadt, die die Fahrtstrecke der Vernichtungszüge wiederholt, und dann von einem Gang über das ehemalige KZ-Gelände. So wird aus Memory mehr als ein Spiel: Nämlich ein Plädoyer für einen gelebten Umgang mit der Geschichte.

Dirk Knipphals

noch bis einschließlich 29. Mai, jeweils 20 Uhr, Halle 1

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