: Mehr als eine Lösung
■ betr.: „Bei den Renten werden Po litiker unehrlich“, taz vom 2. 4. 96
[...] „Am Wochenende waren Pläne des Blüm-Ministeriums bekannt geworden, das Rentenalter für Frauen von derzeit 60 auf 63 Jahre anzuheben.“ – Ach nee! Hat man das nicht bereits 1992 bei der großen Rentenreform beschlossen? Ein Blick ins Gesetz wirkt oft Wunder, und siehe da: Die Anhebung des Altersruhegeldes für Frauen ist stufenweise bereits geregelt. Wer's nicht glaubt, es handelt sich um den § 41 Abs. 1 SGB VI.
Noch einen Fehler: „Bisher geht die Rentenberechnung von einem Niveau in Höhe von etwa 70 Prozent des letzten Gehalts aus.“ Das ist einfach falsch! Bei der Rentenberechnung wird sozusagen das Lebenseinkommen bezogen auf das durchschnittliche Einkommen aller Beitragszahlenden zugrunde gelegt. Nachzulesen in den §§ 64 ff. SGB VI.
Das alles wäre nicht schlimm. Fehler können mal passieren. Was mich weit mehr als diese Fehler stört, ist die Grundhaltung des Artikels. Jeder Mensch, der einigermaßen denken kann, muß doch (bei Kenntnis der demographischen Fakten) sehen, daß es hier nicht nur eine Lösung geben kann:
Die Fakten:
– Die Menschen werden älter als früher. Es gibt weniger Kinder als früher.
– Erwerbsarbeit ist knapp geworden. Zwischen vier bis sechs Millionen Menschen können nicht daran teilnehmen, obwohl sie es müßten und wollen.
– Viele Menschen kommen aus anderen Ländern nach Deutschland. Ob das nun AussiedlerInnen oder AsylbewerberInnen sind. Diese Menschen sind keine RentnerInnen, die nur wegen der hier ach so hohen Rente kommen. Es sind eher Leute, die im Erwerbstätigenalter sind und an der Lohnarbeit teilnehmen könn(t)en.
– Zirka 13 Millionen Menschen waren (fast) beitragsfrei beim Rentenversicherungssystem der DDR versichert. Mit dem Beitritt der DDR zur BRD (und damit zum hiesigen Rentensystem) wurden für diese Menschen Beiträge berechnet. Sie wurden so gestellt, wie sie gestanden wären, hätten sie in der alten BRD gearbeitet. Das Rentenversicherungssystem hat also fiktiv für 13 Millionen Menschen jahre-/jahrzehntelang Beiträge entrichtet.
– Im Rentenrecht gibt es viele Tatbestände, die beitragsfrei versichert sind; so zum Beispiel die Zeiten der Kindererziehung oder des Wehr/Zivildienstes.
Die Lösung, die einzige, zu der es automatisch kommen muß; laut des Artikels: „Im Jahre 2030 kommen nach ZEW-Berechnungen neun Rentner auf zehn Erwerbstätige – bei einem Beitragssatz von 31,8 Prozent ... Bisher schon ergeben Berechnungen, daß es sich für jüngere BeitragszahlerInnen mehr rechnen würde, wenn sie die Rentenbeiträge als Kapital bei einer Bank anlegten.“ Das ist Panikmache!
Natürlich rechnet es sich eher, sein (!) Geld bei einem privaten Institut anzulegen, wenn man gesund, männlich, jung und erwerbstätig ist. Eben das ist Sinn und Zweck einer Sozialversicherung, daß die, die nicht diesen Attributen entsprechen, auch abgesichert sind. Ober glaubt ihr, eine Frau, die ihr Leben lang Kinder erzogen hat, dabei zum Teil halbtags erwerbstätig war (oder Arbeitslosengeld bezogen hat) und kaum Geldbeiträge zum Rentenversicherungsträger zahlen konnte, in einem privaten System besser für das Alter abgesichert wäre?
Jetzt zu den Alternativen. Diese gibt es zahlreich, ich möchte zwei anführen.
– Zum einen sollten diejenigen Leistungen, denen keine Beiträge gegenüberstehen, nicht von den Beitragszahlenden getragen werden. Das heißt: Sämtliche Tatbestände, die zu einer Rentensteigerung führen, also Anrechnungszeit, Ersatzzeit, Zurechnungszeit (sogenannte beitragsfreie Zeiten), Kindererziehungszeit oder Berücksichtigungszeit dürfen nicht aus dem Beitragsfonds gezahlt werden.
Die Kosten dieser Rentensteigerungen müssen von den SteuerzahlerInnen übernommen werden. Diese Möglichkeit ist im SGB VI auch vorgesehen, ein Bundeszuschuß ist im § 213 SGB VI vorgesehen und wird auch gezahlt. Dies jedoch zu einem viel zu geringen Teil.
Noch ein paar Beispiele für die oben genannten Zeiten: Zur Anrechnungszeit gehört ein Studium (zum Teil), Krankheiten, Schwangerschaft. Ersatzzeit ist die Zeit einer Kriegsgefangenschaft, Internierung oder Verschleppung während des Krieges. Als Zurechnungszeit bezeichnet man den Beitragsausfall, wenn jemand sehr früh stirbt oder berufs/erwerbsunfähig wird. Eine Kindererziehungszeit und -berücksichtigungszeit soll den Beitragsausfall während der Erziehung von Kindern ausgleichen. Diese Ausfälle von Rentenbeitragszeiten sind nicht nur den Beitragszahlenden, der unselbständig erwerbstätigen Bevölkerung zuzurechnen. Hier müssen auch BeamtInnen, Selbständige, RichterInnen oder Abgeordnete usw. ihren Teil tragen.
– Weitergehend ist die Alternative, die zu einer Abschaffung der so beschrienen Lohnnebenkosten führt, über die sich heute alle Arbeitgeberverbände/Gewerkschaften beschweren.
Die heutige paritätische Bezahlung des Sozialversicherungsbeitrages führt dazu, daß Unternehmen, die menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzen (rationalisieren), weniger für den Erhalt des deutschen Sozialversicherungssystems bezahlen, als Betriebe, die Arbeitsplätze erhalten. Warum muß ein/e UnternehmerIn mehr zahlen, wenn er/sie mehr Menschen (statt Maschinen) beschäftigt?
Die Möglichkeit besteht ja auch, daß die Sozialversicherungsbeiträge aus dem Gewinn der Betriebe berechnet werden. Also: Wer mehr Gewinn macht, zahlt mehr! Nicht: Wer mehr Arbeitsplätze schafft, zahlt mehr!
[...] Daß Menschen länger erwerbstätig sein müssen, obwohl gar keine Möglichkeiten/Arbeitsplätze vorhanden sind, geht einfach auch praktisch nicht. Dies führt zu einer Verlagerung der Kosten.
Daß ausgerechnet die taz einen solchen falsch recherchierten, hetzerischen Bericht in einer Zeit abdruckt, in der eh schon ständig die Rede davon ist, daß der Sozialstaat nicht mehr bezahlbar sei, ist für mich ein falsches Zeichen. Einer Zeitung, die sich linker Politik verschrieben hat, sollte das nicht passieren. Heike Behle, Konstanz
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