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Mehr als dicke Hosen

Hamburg-HipHop im Zustand fortschreitender Ausdifferenzierung: Samy Deluxe, Jan Delay & Sam Ragga Band im Stadtpark  ■ Von Alexander Diehl

Ein normaler Gang der Dinge ist – insbesondere bei kulturellen Phänomenen – die Ausdifferenzierung. So war etwa der Komplex „HipHop aus Hamburg“ lange genug einer, der sich über einen Kamm scheren ließ, glaubte man weiten Teilen der medialen Verarbeitung. Anstatt zum Beispiel den einzelnen Act/Tonträger zu prüfen und für gut (oder auch nicht) zu befinden, ließ sich unter dem Verweis auf die einzigartige Blüte, die jenes Genre in der besagten Hansestadt erlebe, die Detailbetrachtung gut und gerne vernachlässigen. Zu erkennen an der gehäuften empathischen Verwendung von Vokabeln wie „Eimsbush“, „Hamburg City“ oder, äh, „Digger“. Und klar schien: Wer etwas auf sich hält, beteiligt sich erstmal am diffusen Abfeiern, zumal, wenn sich dessen Gegenstand im eigenen Vorgarten abspielt.

Jetzt, „nach diesen paar aktiven Jahren wirds schon heikel/von meinem Blickpunkt hängt die Entwicklung längst im cycle“ (Eins, Zwo), trennen sich einerseits Spreu und Weizen, was sich etwa an der jüngst erschienenen Vorsprechtermin-Compilation ablesen ließ. Dort zeigte sich – nicht erstmals –, dass HipHop aus Hamburg nicht gleich HipHop aus Hamburg ist, und nicht jeder vollmundig sich lobende MC zwischen Altona, Hohenfelde und City Nord gleich ein Ausnahme-Rapper.

Anspruch auf solchen Titel erhebt in letzter Zeit wohl am lautes-ten Samy Deluxe, seines Zeichens (gewesener) Frontmann des letztjährigen überregional erfolgreichen Outfits Dynamite Deluxe und – wie in seiner Branche nicht ungewöhnlich – auch unter anderem Namen unterwegs; Sam Semilia sein bekanntestes Alias. „Mein Name ist Samy Deluxe, nicht der bekannte MC/ nein, Samy Deluxe, das verkannte Genie.“ Der selbsterklärte „Wickeda MC“ verließ sich auch auf seinem Solo-Debüt – neben Lobliedern auf den inspirierenden grauen Rauch – auf Battle-Reime und möglichst großangelegte Weisen, wenig geschätzten Standeskollegen ans sprichwörtliche Bein zu pinkeln. Von Stress mit DJ Tomekk, Kool Savas und anderen Teilen des Berliner HipHop-Geschehens ist die Rede, und ein Schelm (oder Verkaufszahlen-Profiteur) ist, wer daraus eine Fehde à la Ost- vs. Westküste zu stricken beabsichtigt – „für grundlose Streitereien/ ist dieses Land viel zu klein“ („Positiv“). Scharf geschossen wurde bisher jedenfalls noch nicht. Alles Betonen der eigenen dicken Hose, der längsten Geschichte und einzig wahren Realness betreibt Samy Deluxe dabei auf durchaus sehens- beziehungsweise hörenswertem Niveau. Seine Tracks gehören definitiv zum Besseren im inländischen HipHop, wie seine Mitstreiter wie die Produzenten Tropf und Sleep-walker beziehungsweise seine DJs Mixwell und Ben Kenobi solides bis brillantes Beat- und Scratch-Handwerk gewährleisten. Und manchmal, in guten Momenten, wenn sich sein Wortfluss über Poser-MCs oder andere, eher szene-interne Erscheinungen ergießt, oder der übellaunige Deluxe rechtschaffen vollmundig gegen Deutschtümelei, Dummheit oder Privatfernsehen wettert, blitzen die großen Schimpf- und Spottdrosselvorbilder des Genres auf.

Inhaltlich trifft Samy Deluxe dann auf einen der anderen derzeit maßgeblichen Eckensteher: Jan Delay alias Jan Eißfeldt of Absolute Beginner-Fame. Der hat mit seinem beeindruckenden Solo-Album Searching for the Jan Soul Rebels für ein mittleres Beben gesorgt. Deutete sich bereits vielerorts ein verstärktes Interesse an HipHop verwandten Bereichen von Ragga und Dancehall an, worauf neben den Beginnern auch Samy Deluxe hin und wieder zurückgreift, setzt Delay unter Mithilfe der Sam Ragga Band und der üblichen Handvoll Freunde und Kollegen noch einen drauf. Searching... ist dichter Reggae, wissend um Musikgeschichte und Koalitionsbildungen auch über Genregräben hinweg.

Die deutsche Gegenwart wird hier durch eine geradezu klassisch kulturpessimistische Brille betrachtet. Eine Perspektive, die das Fortleben des „bösen Mannes mit dem kleinen Bart“ genauso thematisiert wie die Lebensfremdheit von Spielkonsolen-Junkies. Und dann das Stück „Söhne Stammheims“ – im Jahr von medialem 68er-Bashing und mit RAF-Geschichte kokettierenden Modelabels („Prada Meinhof“) von besonderer Sprengkraft. „Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin/ folgen Jürgen und Zlatko und nicht mehr Baader und Ensslin“, heißt es da, und plötzlich griffen Menschen zu, die sich zuvor weder für Eimsbush noch für Grabenkämpfe des deutschen HipHop interessiert haben dürften. Ein Schelm, wer Kalkül vermutet hinter Delays sperriger gleichwohl nicht misanthroper Protesthaltung.

Freitag, 19 Uhr, Freilichtbühne Stadtpark

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