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„Mehr Weltläufigkeit!“

Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin im Gespräch über das Verhältnis der Stadt Berlin zum Bund, über die Topographie des Terrors, die Frage des Urheberrechts und den Sprachenstreit in Europa

Interview BRIGITTE WERNEBURG

taz: Sie ziehen bald um. Das neue Kanzleramt wird ja allgemein als recht monumental empfunden, auch Herr Schröder hat sich einmal so geäußert. Wie ergeht es Ihnen?

Julian Nida-Rümelin: Von außen wirkt es in der Tat ziemlich monumental. Wie Sie wissen, ist es noch von der alten Bundesregierung unter Kohl konzipiert worden. Ich hätte mir das auch anders vorstellen können. Im Inneren ist die Architektur jedoch faszinierend, viel filigraner und auch ansprechender. Das Raumangebot ist paradoxerweise nicht so üppig. Meine Mitarbeiter werden z. B. nicht auf der selben Etage wie ich arbeiten. Aber ich freue mich auf den Umzug.

Wenn man gedanklich die Spree weiter runterfährt, dann kommt man zur Museumsinsel, die in einer komplizierten logistischen Planung im Auf- und Umbau begriffen ist. Jetzt bleibt das Berliner Geld aus. Was machen Sie nun?

Die Details sind sehr kompliziert. Ich bin der Meinung, dass es wegen der mangelnden Umsetzung einer Berliner Zusage auf keinen Fall dazu kommen darf, den Masterplan für die Museumsinsel zu verzögern. Nicht nur weil Verzögerungen ärgerlich sind, sondern weil damit auch Kostensteigerungen verbunden wären. Ich glaube, wir haben einen Weg gefunden, wie der Bund vorübergehend in die Bresche springt, aber natürlich erwartet, dass das Land Berlin insgesamt bei der Zusage seines Anteils bleibt.

Aber das Gefühl, dass Berlin sich doch zu sehr auf den Bund verlässt, haben Sie schon?

Ich weiß, dass die Stadt Berlin, das Land Berlin, in einer schwierigen finanziellen Lage ist. Mir ist es lieber, wenn die Karten auf den Tisch kommen. Es geht nicht, Zusagen zu geben, die dann nicht eingehalten werden. Inakzeptabel sind ebenfalls unkontrollierbare Kostensteigerungen bei einzelnen Projekten.

Nun ist ja die Topographie des Terrors so ein Fall der Kostensteigerung. Gleichzeitig bildet sie mit dem Jüdischen Museum und dem Holocaust- Mahnmal einen Dreiklang der Erinnerung. Sollte der Bund die Topographie nicht auch vollständig übernehmen?

Dass man diese drei Einrichtungen in einem engen Zusammenhang sehen muss, aus dem wiederum zu folgern sei, der Bund müsse alle drei zu hundert Prozent übernehmen, vertreten CDU und PDS in einer pikanten Allianz. Dem kann man entgegensetzen, dass es ein Gedenkstättenkonzept in Deutschland gibt, das regelt, dass der Bund bis maximal fünfzig Prozent zur Förderung einer Gedenkstätte gibt. Das macht Sinn, nicht nur aus Finanzierungsgründen. Dennoch: Wer stellt sich der Verantwortung bezüglich des Erinnerns? Wir sollten die Kommunen und die Länder nicht aus der Verantwortung entlassen. Es wäre der falsche Schritt, aus der Erinnerung zur NS-Vergangenheit und zur Judenverfolgung ausschließlich eine Sache des Bundes zu machen. Dieses Signal möchte ich auf keinen Fall geben.

Die beiden anderen Projekte zeichnen sich auch durch ihre Architektur aus. Die Topographie hat mit Peter Zumthor ebenfalls einen namhaften Architekten, den sich Berlin aber nicht mehr leisten will, weil der Bund passt. Könnte nicht der Eindruck entstehen, die Täterperspektive, die für uns Deutsche besonders wichtig, aber auch heikel ist, fällt mal kurz hinten runter?

Das darf auf keinen Fall geschehen. Peter Zumthor ist ein bedeutender Architekt, und dass die Topographie realisiert wird, steht außer Frage. Aber man darf nun auch nicht ein Fass ohne Boden aufmachen und sagen: „Was immer es auch kosten mag, der Bund wird’s schon zahlen.“ Wir haben eine durch die Bauverwaltung geschätzte Kostensteigerung von ursprünglich 37 Millionen auf über 70 Millionen Mark. Und es gibt noch weit höhere Kalkulationen. Da wird es eine Grenze geben müssen. Die Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Frau Griefahn, hat eine fünfzigprozentige Beteiligung des Bundes befürwortet, wenn die Gesamtkosten unter 70 Millionen Mark bleiben.

Wie viel teurer wird eigentlich das Kanzleramt?

Von 398 Millionen Mark haben sich die Kosten auf zirka 465 Millionen erhöht.

Also lieber zu den Pfennigbeträgen der Künstlerförderung. Sie haben von einem Mozartpfennig gesprochen . . .

Der Grundgedanke stammt nicht von mir. Er ist schon länger in der Debatte; es gibt dazu sogar einen Vorschlag für einen Gesetzentwurf von 1998. Heutzutage macht die Kulturwirtschaft große Umsätze mit der Kunst nicht mehr lebender Künstler. Der Vorschlag war, dass die Kulturwirtschaft einen Teil dieser Umsatzerlöse zur Förderung der jungen und existenziell gefährdeten Künstler abgibt. Die Künstler üben auf diese Weise eine Art Generationensolidarität untereinander. Des Weiteren ist die Kulturwirtschaft angewiesen auf die Fortentwicklung der Künste. Das spricht dafür, dass man eine Art Abgabe erhebt. Und jetzt wird es kompliziert. Der einfachste Weg wäre, man machte ein Gesetz. Das ist unter dem Stichwort „Künstlergemeinschaftsrecht“ diskutiert worden. Wenn das individuelle Urheberrecht nach einer Zeit erlischt, könnten diese Mittel aus den Urheberrechtsgebühren in eine gemeinsame Kasse fließen, aus der dann wieder Kunstprojekte gefördert werden könnten. Besser wäre jedoch eine Einigung mit der Kulturwirtschaft auf freiwilliger Grundlage.

Sollte man solchen Markteingriffen gegenüber nicht skeptisch sein?

Es wäre zu fragen, ob das überhaupt ein Markteingriff ist. Denken Sie an die Ökosteuer. Sie nutzt die Marktpreise, um eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise zu fördern. Wenn wir das Produkt zusätzlich um einen gewissen Betrag verteuern, dann verändert das die Rahmenbedingungen, aber der Markt selbst wird nicht tangiert. Einen prinzipiellen Einwand gegen das Modell gibt es nicht. Aber ich gebe zu, die Idee muss noch weiter entwickelt werden. Ich denke, wir sollten unterhalb der Ebene der Bundesgesetzgebung über Vereinbarungen mit der Kulturwirtschaft nachdenken, ähnlich wie bei der Filmförderung.

Aber die Probleme werden größer, auch in der Filmwirtschaft – unter anderem durch die europäische Gesetzesharmonisierung und das Internet. Wird das Urheberrecht ganz neu diskutiert werden müssen?

Wir sind schon dabei. Es wird in dieser Legislaturperiode eine deutsche Urheberrechtsnovelle geben, die das Recht von Urhebern weiter stärken soll

Und was sagen die amerikanischen Anwälte dazu?

Das werden wir sehen. Es geht uns in erster Linie um die Kulturwirtschaft, die in einigen Bereichen Sorgen hat. Wir reden jetzt darüber, wie das auszutarieren ist. Es kann auf keinen Fall sein, dass das Urheberrecht zum Beispiel kleinere Verlage in Schwierigkeiten bringt.

Kulturentwicklung, da liegt die Frage nach dem Sprachenstreit nahe und der Leitkultur. Sie haben sich zuletzt etwas in die Nesseln gesetzt, weil Sie sagten, Deutsch sei keine Wissenschaftssprache mehr.

Moment! Was ich tatsächlich gesagt habe, ist: Deutsch spielt als internationale Wissenschaftssprache in den Naturwissenschaften, der Wirtschaft und der Technik nur eine ganz untergeordnete Rolle. Da hat sich das Englische in der Tat durchgesetzt. Es wäre albern, den Versuch zu unternehmen, dagegen anzusteuern. Man würde sich an den nächsten Generationen versündigen, wenn man sagt, es genügt, wenn ihr Spanisch lernt oder Französisch. Englisch ist in diesem Bereich Lingua franca. Bei der selben Veranstaltung, auf der ich mich zum Thema Deutsch als Wissenschaftssprache äußerte, habe ich dafür plädiert, dass wir die Sprachenvielfalt Europas sehr viel ernster nehmen als bislang. Es sollte eine europäische Nachbarsprache gelernt werden und Englisch als internationale Gebrauchssprache. Deutsch ist wichtig, sehr wichtig, und deshalb plädiere ich dafür, dass Deutsch durchgängig Pflichtfach im Abitur wird.

Die Aufregung um meine Äußerung entlarvt in meinen Augen – genauso wie im Übrigen die Forderung nach einem Sprachenschutzgesetz – einen Minderwertigkeitskomplex. Die Panik, Deutsch stirbt demnächst aus, ist unsinnig. Wir haben zur Zeit sicherlich einen starken englischen Einfluss – die Sprache wird mit Anglizismen durchsetzt. Das gilt aber nur in bestimmten Bereichen, im Soziolekt der Jugendsprache oder der Werbesprache etwa. Ich sehe überhaupt kein Indiz dafür, dass Deutsch verschwindet. Es gab immer Einfluss von anderen Sprachen. Denken Sie nur an das Französische oder das Griechische. Wir sagen ja auch „Demokratie“ statt „Volksherrschaft“ und kein Mensch stört sich daran. Ich plädiere für mehr Gelassenheit, mehr Weltläufigkeit.

Und gegen eine Leitkultur?

Die CDU hat das ja ursprünglich als „deutsche Leitkultur“ in die Debatte gebracht; dagegen habe ich mich gewendet. Es ist ein vernünftigeres Projekt, in einer demokratischen Gesellschaft über alle kulturellen Unterschiede hinweg Gemeinsamkeiten anzustreben, vor allem der moralischen Einstellungen, der Normen und Werte. Zum Beispiel Respekt vor dem menschlichen Individuum, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Kultur. Eine ganz wesentliche Gemeinsamkeit, die wir brauchen, ist die tatsächliche Gleichstellung aller Menschen unabhängig zum Beispiel vom Geschlecht. Die spezifisch deutsche Lebensart ist nicht vorbildlich für andere. Und wir brauchen auch nicht so tun, als müsse sie das sein, damit ein Staat Bestand hat.

Auf der anderen Seite gibt es eine zweite Frontstellung und da nehme ich die Kritik auch gerne entgegen. Es gibt eine bestimmte Form von Multikulturalität, die im Grunde denselben Denkfehler, die selbe romantische Überzeichnung der Rolle des Kollektivs beinhaltet, wie das konservativ-rechte Projekt. Es besagt nämlich, Menschen seien primär dadurch geprägt, welcher Gemeinschaft sie angehören. Und deswegen müssten wir vor allem darauf achten, dass wir einen Modus vivendi dieser Gemeinschaften in der Gesellschaft haben. Zum Teil ist das schon sehr weit gediehen in US-amerikanischen Metropolen.

Ich setze das Konzept einer genuin zivilen Gesellschaft dagegen, einer Gesellschaft, in der interkulturelle Verständigung eine zentrale Rolle spielt. Menschen sollten nicht mit Stereotypen als Angehörige von welcher Gruppe auch immer eingeordnet werden. Es muss die Vielfalt der Einflüsse und Bindungen anerkannt werden, die in einer modernen Gesellschaft eine Rolle spielen, unabhängig davon, ob die Person ursprünglich aus der Türkei kommt oder in Rosenheim geboren ist.

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