: Mehr Pause als Prozeß
■ Zweiter Tag im Pinneberger Skin-Prozeß
Pausen gab es reichlich, aber keinen Kaffee. Das bedauerte selbst Staatsanwalt Helmut Pattet. Sechs türkische Jugendliche standen gestern vor dem Jugendschöffengericht Pinneberg. Sie sind angeklagt, als Reaktion auf die Möllner Mordanschläge im Dezember 1992 einen Nazi-Treff in Halstenbek überfallen zu haben (taz berichtete).
Die anfänglich „lockere“ Atmosphäre am zweiten Verhandlungstag ändert sich, als der Anwalt des Nebenklägers, Jürgen Rieger, mit Verspätung eintrifft. Er wird mit „Nazischwein“ begrüßt. Richter Ingwertsen droht mehrmals mit der Räumung des Saals. Die Verteidiger fordern den Ausschluß Riegers vom Verfahren. Die Nebenklage sei unzulässig, weil keinem der Angeklagten die Schuld wegen Körperverletzung zugeordnet werden könne. Riegers Mandant war bei dem Überfall durch mehrere Messerstiche schwer verletzt worden. Zudem sei Rieger durch Aussagen wie: „Die Ausländerflut gefährdet die biologische Existenz unseres Volkes“ als „rechter Aktivist“ bekannt. Verteidiger Mathias Wisba fürchtet auch, daß persönliche Angaben der Angeklagten an Antifaschistische Organisationen weitergeleitet werden. Die Anträge werden abgelehnt.
Anwalt Rieger befürchtet eine „Bagatellisierung“ der Delikte: Wenn Skin-Heads ein Messer in der Hand hätten, werde immer von „versuchtem Mord, bei Türken nur von Körperverletzung“ gesprochen. Die Zuschauer murren, Richter Ingwertsen ordnet Räumung an. Ein junger Mann wird herausgezerrt, gegen eine Scheibe gedrückt und in den Magen geschlagen.
Nach der Unterbrechung stellt Rieger den Antrag, die Verhandlung an das Landgericht abzugeben und fordert Anklage wegen „versuchter Tötung“. Lautes Husten und Niesen unter den Zuschauern. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Verhandlung wird nächsten Dienstag fortgesetzt. G. Werner
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