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Mehr Dezentralisierung als Autonomie

■ Das Autonomiestatut, das Managua jetzt der Atlantikküste zugestanden hat, sichert ihren Bewohnern Mitspracherechte, aber kaum Entscheidungskompetenzen

Das Wort Autonomie hat für die Bewohner der Atlantikküste Nicaraguas Symbolbedeutung. Sie steht für Gleichberechtigung, für Ende der Bevormundung durch die „espanoles“, die Mestizen der Pazifikküste. Deswegen verwenden alle in Nicaragua den Begriff „Autonomie“, auch wenn der Inhalt des Projekts ein anderer ist. Mit der Autonomie etwa der spanischen Provinzen ist es nicht vergleichbar. Was das „Autonomiestatut“ vorsieht, ist dezentralisierte Verwaltung nach Gesetzen, die in Managua gemacht werden. Der „Regionalrat“, der aus 30–50 Abgeordneten bestehen soll, wird den regionalen Haushaltsplan vorschlagen können, der dann vom Parlament in Managua beschlossen wird. Ebenso verhält es sich mit dem Gesetz, das die Nutzung und Erhaltung der Ressourcen regeln soll. Die Regionalbehörden können „in Koordination mit den jeweiligen Ministerien die Gesundheits–, Erziehungs–, Versorgungs– und Kommunalprogramme verwalten sowie eigene Projekte im Bereich der Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur vorantreiben“, heißt es im Artikel Diese Klausel soll verhindern, daß die Atlantikküste wieder dem hemmungslosen Raubbau - früher waren es ausländische Unternehmen - preisgegeben wird, die den Waldbestand in diesem Jahrhundert um 150.000 Hektar dezimiert haben. Eines der wichtigsten Ziele des „Autonomiestatuts“ ist wohl die wirtschaftliche und kulturelle Einbindung der Atlantikküste in das Staatswesen. Sie soll nicht länger ein Anhängsel sein, das nur geographisch und in der Verfassung zu Nicaragua gehört. „Nicaragua ist ein Einheitsstaat“, wird in Artikel 2. klargestellt, „dem die Gemeinschaften der Atlantikküste untrennbar angehören“. Das Projekt weist jeden Gedanken an Separatismus zurück und soll mithelfen, etwas zu schaffen, was bisher eine durch Gesetze gestützte Fiktion ist, eine „nicaraguanische Nation aus vielen Völkern und Kulturen“. Die Identifizierung der Miskitos, Kreolen, Garifunas, mit der Zentralregierung im weit entfernten Managua, den „espanoles“ vom Pazifik, ist kaum vorhanden. Die Leute vom Pazifik sind im Laufe der Geschichte selten in guter Absicht gekommen und haben sich immer als Herrenmenschen aufgeführt. Das soll jetzt anders werden. Die Sprachen der Völker und Ethnien werden in den jeweiligen Regionen neben dem Spanischen als offizielle Sprachen geführt. Keine nicaraguanische Regierung hat soviel an Ressourcen in die Atlantikküste gepumpt wie die gegenwärtige. Nicht nur in der Hoffnung auf zukünftige Früchte, sondern auch im Bestreben, historische Fehler wieder gut zu machen. Das „Autonomiestatut“ läßt mehr offen, als es festlegt. Artikel 15 gehört zu den wenigen, die klipp und klar keiner weiteren Interpretation zugänglich sind: bei der Verteidigung der autonomen Region sind die Gemeinden der Atlantikküste in erster Linie heranzuziehen, und zwar „über das sandinistische Volksheer und die Sicherheitskörper des Innenministeriums“. Viele andere Lösungen müssen im Laufe eines langwierigen Prozesses erst gefunden werden. Weder die genauen Grenzen der Gemeinden noch selbst die Grenzen der autonomen Regionen sind festgelegt worden. Selbst die neuen Namen für die heutigen Spezialzonen I und II müssen erst über Volksbefragungen gefunden werden. Ralf Leonhard

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