: Mehr Angebote für die Aktivrentner
■ Im Jahr 2000 werden alleine in Berlin 700.000 Menschen über 60 Jahre leben. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Diesem Trend trägt ein wachsendes Bildungsangebot für Senioren Rechnung
Senioren bei Vorlesungen im Uni-Hörsaal oder beim schnellen Zugriff aufs Internet – was für viele noch immer eine ungewöhnliche Vorstellung sein mag, gehört für viele alte Menschen in der Stadt bereits zum Alltag. Immer mehr Rentner wollen nicht zum alten Eisen gehören, sondern noch einmal richtig aktiv werden.
Vor allem das Internet erfreut sich als „Tor zur Welt“ immer größerer Beliebtheit bei älteren Menschen. Nachdem in den USA bereits über 52 Prozent der Internet- Nutzer älter als 40 Jahre sind, steigt nun auch das Interesse deutscher Senioren an der virtuellen Welt.
Dies zeigte sich jüngst in einem Projekt der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialpädagogik. Im Rahmen eines Medienkurses initiierten zwei Studentinnen einen Senioren-Internet-Kurs. „Die Resonanz war überwältigend, so daß wir nicht alle Interessenten in unseren Kursen unterbringen konnten“, meint Karina Kaffee, eine der Initiatorinnen. Nach einer kurzen Einführung seien auch Teilnehmer ohne Vorkenntnisse schon in der Lage gewesen, selbständig im Internet zu surfen. „Die Teilnehmer waren besonders stark an der Nutzung von E-mails interessiert und nahmen während der Kurse über E-mail Kontakt zu ihren Enkeln auf“, erzählt die Studentin. Bei Kaffee, Tee und selbstgebackenem Kuchen seien die Senioren per Mausklick in die verschiedensten Museen der Welt spaziert, und selbst das Gestalten von eigenen Homepages wurde im Anfängerkurs schon versucht. Zu Semesterbeginn wird die Homepage nun in einem Folgekurs fertiggestellt, und ein neuer Anfängerkurs ist auch schon geplant.
Daß die Zahl der aktiven Alten in Zukunft weiter steigen wird, hat neben steigender Lebenserwartung auch demographische Ursachen. Laut Statistischem Landesamt ist es seit einigen Jahren vor allem die Zahl der 55- bis 65jährigen, die ständig steigt – von 11,7 Prozent 1994 bis 13 Prozent 1996. Ein Trend, der nicht nur Berlin betrifft. Zur Jahrtausendwende rechnet man damit, daß jeder fünfte in Deutschland über 60 Jahre alt sein wird. Allein in Berlin sollen dann 700.000 Senioren leben.
Vor diesem Hintergrund scheint auch der Rest der Gesellschaft zu erkennen, daß daß Senioren mehr sind als eine Randgruppe und daß deren soziale und kulturellen Bedürfnisse nicht mehr zu ignorieren sind. Denn die soziale Betreuung der Senioren beschränkt sich nicht mehr lediglich auf Pflege und Versorgung im Krankheitsfall. Vor allem für die Aktivrentner wächst die Angebotspalette: von der Seniorenreise über bestimmte Bildungs- und Kulturangebote bis hin zur Seniorenuniversität.
Eine der ältesten Einrichtungen, die sich der aktiven Senioren annimmt, ist die 1978 gegründete Seniorenuniversität am Universitätsklinikum Charité. Die Initiatoren dieser Einrichtung, Mitarbeiter des Forschungsprojekts Gerontologie an der Charité der Humboldt-Universität, gingen damals von der wissenschaftlichen Erkenntnis aus, daß der Mensch bis ins hohe Alter die Fähigkeit besitzt, geistig zu arbeiten, zu lernen und sich zu bilden. Gleichzeitig wurde davon ausgegangen, daß diese Fähigkeiten nicht im Selbstlauf erhalten bleiben, sondern bewußt erkannt und angewandt werden müssen.
Die Wissenschaftler boten den Älterwerdenden die Möglichkeit, sich bewußt auf die sich im Alter vollziehenden physischen und psychischen Veränderungen vorzubereiten. So lag zu DDR-Zeiten der Schwerpunkt der Vorlesungen im medizinischen Bereich. Die Zuhörer lernten, sich vor eventuellen Krankheiten zu wappnen und Präventionsmaßnahmen zu treffen.
Heute ist dieser Aspekt immer noch wichtiger Bestandteil der Vorlesungen, doch können sich die Senioren ebenso in Gebieten der Architektur, Kunst- und Literaturgeschichte schlau machen. Dieser Bereich der Vorlesungsreihe wird vom Verein pro senioris e.V. abgedeckt; einem Verein, der nach der Wende gegründet wurde, um die ins Wanken geratene Seniorenuniversität zu unterstützen.
Interessant ist die Zusammensetzung der Hörerschaft. Im Studienjahr 1996/97 waren unter knapp 500 Anmeldungen über 80 Prozent Frauen zu verbuchen. Die älteste Zuhörerin war 90, der älteste Zuhörer 87 Jahre alt. Das Durchschnittsalter bei den kostenlosen Vorlesungen pendelte sich bei 68 Jahren ein. Songül Çetinkaya
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