Medizin-Nobelpreis: Ewiger Streit um Aids-Entdeckung
Die französischen Aids-Forscher Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi erhalten den Medizin-Nobelpreis. Zu Recht. Einer aber fehlt: der US-Forscher Robert Gallo. Warum?
In der Wissenschaftsszene der Virologen war diese Nachricht aus Stockholm eine Sensation: Luc Montagnier und seine Mitarbeiterin Françoise Barré-Sinoussi allein erhalten - neben dem deutschen Krebsforscher Harald zur Hausen - den diesjährigen Medizin-Nobelpreis. Sowohl Montagnier als auch Barré-Sinoussi werden ausdrücklich für ihre Pionierleistung in der Auffindung jenes Virus gewürdigt, der für eine Aidserkrankung verantwortlich ist. Die Pointe: Der US-Amerikaner Robert Gallo erhält den Preis nicht.
Gallo jedoch war es 1984, der öffentlich herausposaunte, er habe den Virus entdeckt und könne einen Test vorstellen, mit dem die Träger des Virus - damals HTLV-III genannt - identifiziert werden könnten. In Wahrheit aber, und das Stockholmer Nobelkomitee anerkannte dies blank, hatten Montagnier und seine MitarbeiterInnen dies in ihren Pariser Labors 1983 längst geleistet. In Frankreich wurde der Virus mit dem Kürzel LAV bezeichnet. Als Gallo die Entdeckung für sich reklamierte, brach ein jahrelanger Streit zwischen beiden aus. Zwar stellten mehrere Expertisen im Laufe der Jahre fest, Gallo habe seine Entdeckung auf Basis der von Montagnier zur Verfügung gestellten Blutproben gemacht; tatsächlich habe Montagnier die wissenschaftliche Forschung bereichert, der Amerikaner lediglich, wenn auch geschickt, plagiiert. Der Zwist zwischen den beiden wurde, als es um die lukrativen Patentrechte ging, auf höchster Ebene beigelegt. Ende der Achtziger einigten sich US-Präsident Ronald Reagan und Frankreichs Premier Jacques Chirac auf einen Kompromiss, dem zufolge beide Forscher das Patentrecht für sich beanspruchen können.
Insgeheim schwelte der Hader freilich weiter, zumindest in der für das schwedische Nobelpreiskomitee wichtigen Wissenschaftsszene. 1992 attestierte eine Gutachterkommission in den USA ihrem Kollegen Robert Gallo, sich wissenschaftlich "fehlverhalten" zu haben. Zutreffend ist freilich dies: Montagnier und Barré-Sinoussi wie auch Gallo haben sich in ihren Laborforschungen nicht von der Immunschwächekrankheit ideologisch irritieren lassen: bis zu ihren bahnbrechenden Erkenntnissen, dass es sich beim HI-Virus nicht um eine schwulentypische, quasi genetisch begründete Geschichte handelt.
Alle drei ForscherInnen waren unangefochten in ihrer Annahme, dass sie es mit einer Infektionskrankheit zu tun haben, die beim Austausch von Körperflüssigkeiten übertragen werden kann. Sowohl Montagnier als auch Gallo gaben in den späten Achtzigerjahren zu verstehen, dass diese Kontamination eines Körpers mit einem Virus, der die Immunabwehr eines Menschen zunächst schwächt und schließlich ausschaltet, mit einer Impfung geheilt werden könne. Eine Prophezeiung, die allerdings trog: HIV ist bislang nicht kurierbar, nur - mit Hilfe von Medikamenten - in Schach zu halten.
Tapfer und dankbar
Montagnier zeigte sich wie seine Kollegin Barré-Sinoussi hocherfreut - wie soll er auch sonst empfinden, wenn seine wichtigste wissenschaftliche Leistung mit der höchsten Auszeichnung seines Metiers versehen wird? Immerhin gab der Franzose zu Protokoll, er finde, Gallo hätte den Preis ebenfalls verdient. Der Nichtberücksichtigte aber zeigte sich tapfer; er, seit vielen Jahren am Tag der Nobelpreisverkündung besonders gut erreichbar, sei "erfreut", dass Montagnier die Auszeichnung erhalte, ist aber "dankbar", dass er "freundliche Worte" über ihn gefunden habe.
In Deutschland ist man ähnlich zurückhaltend. Joachim Denner vom Robert-Koch-Institut sagte: "Es wäre diplomatischer gewesen, Gallo mit einzubeziehen." Karin Mölling vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin rückte die Perspektive der Auszeichnung noch ein wenig anders zurecht: "Gallo hat einen großen Teil der wissenschaftlichen Durchhaltekraft bei der weiteren Erforschung des Virus beigetragen." Montagnier habe seine Forschungen zum Thema HIV nach der Isolierung des Virus aus dem infizierten Laborblut stark vermindert.
Vielleicht ist genau das die Tragödie dieses Nobelpreises: dass nur ein oder zwei Wissenschaftler den Ruhm zuerkannt bekommen, etwas originär entdeckt haben. Wissenschaftler wie Gallo aber, die das Feld der HIV-Forschung wesentlich popularisiert haben, gehen leer aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene