: Medienkrieg um Fernsehbilder
■ Der deutsche Nachrichtensender N 24 behauptet, die Aufnahmen von Massengräbern in Tschetschenien stammten vom eigenen Korrespondenten. Russen zweifeln das an
Moskau/Berlin/München (dpa/taz) – Die Fernsehbilder von angeblichen russischen Gräueltaten in Tschetschenien haben sowohl im Westen als auch in Russland heftige Reaktionen ausgelöst. US-Präsident Bill Clinton und die EU forderten Russland auf, internationalen Beobachtern uneingeschränkten Zugang zu der abtrünnigen Kaukasus-Provinz zu geben. Bundesaußenminister Joschka Fischer verlangte, die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Bis Sonntag gab es in Moskau keine offizielle Reaktion.
Die russische Zeitung Iswestija behauptete am Samstag, die Aufnahmen seien nicht von dem deutschen Korrespondenten des Nachrichtensenders N 24 selbst, sondern von einem russischen Journalisten gemacht worden. Die Aufnahmen zeigen Massengräber in der Ortschaft Gajty westlich von Grosny.
In dem Beitrag ist zu sehen, wie Körper getöteter Tschetschenen an Seilen hinter Lastwagen zu den Gräbern geschleift wurden. Im Kommentar dazu hieß es, die Leichen seien zum Teil verstümmelt und wiesen Zeichen von Folterungen auf. Nach Meinung des N 24-Reporters Frank Höfling seien viele der Rebellen „hingerichtet“ worden. Dem widersprachen der Kreml und Iswestija.
Nach Angaben von N 24 wurde Höfling inzwischen die Akkreditierung entzogen. Der Sender versuche, Höfling aus dem Krisengebiet herauszuholen. N 24 wehrte sich gegen die Vorwürfe, die Aufnahmen seien nicht vom eigenen Reporter gedreht und gäben ein falsches Bild wieder. Höfling habe selbst das Massengrab entdeckt, sagte ein Sprecher des Senders. Die umstrittenen Bilder habe er selbst mit seinem Kameramann gefilmt. Iswestija hatte in einem ganzseitigen Beitrag am Samstag die Vermutung geäußert, mit der Verbreitung des „verfälschten“ Beitrags habe Höfling „das Rating seiner neu gegründeten Gesellschaft anheben wollte“.
Unterdessen brach am Sonntag der Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro Gil-Robles, nach Tschetschenien auf. Er sollte am Montag die von russischen Truppen eroberte Hauptstadt Grosny und Flüchtlingslager besuchen. Gil-Robles zweifelte, ob er Zutritt zu den so genannten Filtrationslagern für Tschetschenen bekommen würde, aus denen immer wieder von Misshandlungen berichtet worden war. Gil-Robles wurde vom russischen Menschenrechtsbeauftragten für Tschetschenien, Wladimir Kalamanow, begleitet.
In Tschetschenien legte die russische Armee nach tagelangen Kämpfen in der Argun-Schlucht eine Pause ein, um die Truppen neu zu formieren. Nach Darstellung der russischen Armee kontrollierten die Rebellen nur noch ein Prozent des Landes. gb
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