: Matinal
■ Fanny Müller:
Man soll sich ja nicht einbilden, daß, wenn man neue Wörter gebraucht, alte Inhalte nur neu definiert werden. Die Inhalte verändern sich. Und das ist gut so.
Früher – damit meine ich die Zeit, als eine Frau einem Mann noch ungestraft auf seine Frage: „War's schön für Dich?“ antworten konnte: „Nein – was denn?“ – früher also sagte man, wenn jemand sich in einer prekären Situation verpißte, er sei feige. Heute heißt es konfliktscheu. Wer würde solch einem Menschen in die Eier treten wollen? Hier sind vorsichtige Erkundigungen nach seiner Mutterbeziehung am Platze. Vielleicht stellt sich auch eine prä-embryonale Tantenliebe heraus. Und dafür kann ja nun wirklich keiner was.
Sollten Sie zu denen gehören, die morgens immer verpennt sind, so ist dies kein Grund mehr, es auch so auszudrücken. Wie finden Sie: „Ich bin kein matinaler Typ“? Hört sich das nicht prima an? Fast wie „mediterraner Typ“? Und die Vorstellung von zugeklebten Augen, Bettmief und einer Tasse Kaffee im Stehen tritt sofort zurück zugunsten der Vision eines sympathischen Spätaufstehers, der intellektuell alles im Griff hat.
Und wenn jemand außer seinem eigenen Namen alle anderen Eigennamen falsch schreibt (Berthold Brecht und Jimmy Hendrix beispielsweise) und Kommata als Relikte aus dem Mittelalter betrachtet, dann ist er keine faule Sau, sondern Legastheniker. Was dem Begriff Akademiker ziemlich nahe kommt. Faulheit ist übrigens auch abgeschafft und durch Antriebsschwäche ersetzt worden.
Darf ich noch ein paar Vorschläge machen? Brutal = durchsetzungsfähig, Puff = Eros-Center, Verdummung = Information, Hampelmann = Ich-Schwäche, bescheuert = „Unsere Gäste im Studio“ – Was sagen Sie? Das gibt es schon? Das ist ja Klasse.
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