Maßnahmen für Obdachlose: „Sie brauchen ein eigenes Zimmer“

Jörg Richert, Vorstand der Karuna Sozialgenossenschaft, erklärt, warum seine Organisation in der Coronakrise Hotelzimmer für Obdachlose fordert.

Wasser wird knapp: improvisierte Waschstelle am Boxhagener Platz Foto: dpa

taz: Herr Richert, die KARUNA Sozialgenossenschaft schlägt Alarm: Wenn die Kommunen jetzt nicht richtig handelten, riskierten sie den Tod vieler obdachloser Menschen, heißt es in einer Mitteilung. Warum sind Obdachlose jetzt besonders gefährdet?

Jörg Richert: Viele Menschen, die auf der Straße leben, haben Vorerkrankungen. Viele sind schon älter, viele rauchen auch – das alles macht sie zu einer Hochrisikogruppe. Andererseits wissen obdachlose Menschen oft gar nicht, dass es gegebenenfalls die Möglichkeit gibt, sich auf das Coronavirus testen zu lassen. Einen Hausarzt haben sie nicht, die Hotlines sind verstopft. Stundenlang in der Warteschleife auszuharren, das können Obdachlose nicht leisten. Die wenigsten haben ja überhaupt ein Telefon, allerdings wollen wir in den kommenden Tagen für die meisten hier in Berlin eines organisieren.

Wie hilft ihre Organisation im Falle einer etwaigen Covid-19-Erkrankung eines Obdachlosen?

Nehmen wir an, jemand liegt in seinem Zelt an der Rummelsburger Bucht und bekommt Fieber. Dann kann er eine Notrufnummer anrufen, die wir geschaltet haben. Wir schicken dann entweder einen Arzt hin oder fahren selbst mit dem Karuna-Mobil vorbei, um die Person in Krankenhaus oder eine andere Hilfseinrichtung zu bringen – unser Mobil ist mit seiner abgeschlossenen Fahrerkabine gut dafür geeignet.

Jörg Richert

57, ist Geschäftsführer des Vereins Karuna Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not und im Vorstand der Karuna Sozialgenossenschaft.

Das könnte sich erübrigen, wenn Ihre politische Forderung umgesetzt würde: Sie wollen, dass Obdachlose in Berlin und allen anderen deutschen Großstädten in Hotels untergebracht werden.

Ja, wir waren und sind auch schon mit Hotels im Gespräch. Es gibt von deren Seite aus eine riesige Bereitschaft, denn die meisten Zimmer stehen leer und die Betreiber erhoffen sich dadurch Einnahmen. Das ist ja vom Grundsatz her völlig in Ordnung. Aber natürlich muss es vom Land finanziert werden.

Sehen Sie da beim Senat eine entsprechende Bereitschaft?

Die ist grundsätzlich auf jeden Fall da, wir haben uns ja auch schon gemeinsam um die aktuelle Problematik gekümmert. Ich selbst war im Auftrag der Sozialverwaltung unterwegs, um Möglichkeiten für eine Unterbringung auszuloten. Daraus ist jetzt die vorläufige Lösung mit zwei ersten Standorten entstanden. Heute Abend belegen wir 200 Plätzein der Jugendherberge in der Kluckstraße in Tiergarten. Mit der anderen Einrichtung, die noch angemietet wird, kommen wir auf rund 350 Plätze, aber da draußen leben rund 2.000 Menschen! Für eine massive Ausweitung dieser Maßnahme muss also einiges in Angriff genommen werden, das muss mit Geld unterlegt werden, die Abgeordneten müssen Beschlüsse fassen.

Wie soll denn die Idee mit den Hotels konkret aussehen?

Was wir brauchen, sind Ein-Bett-Zimmer, auch Zwei-Bettzimmer für obdachlose Paare. Betreut würden die Menschen in den Hotels von einem sozialen Träger, so wie die Tamaja GmbH es jetzt in der Jugendherberge macht. Bei einem großen Hotel könnte ein Träger beispielsweise auch nur eine Etage übernehmen.

Muss man die Menschen dann überwachen, damit das funktioniert?

Nein, das ist Unsinn, wir haben da gute Erfahrungen. In den Notübernachtungen gibt es ja oft nur Streit, weil die Leute dort in großer räumlicher Enge zusammen sind. Da sagen dann viele: Das ist mir zu viel Stress, da kann ich gar nicht mehr schlafen und bleibe lieber unter der Brücke. Wenn sie einen eigenen Raum haben, können sie zur Ruhe kommen, ausschlafen, regelmäßig essen und dadurch auch psychisch und körperlich heilen. Deswegen werben wir dafür, dass auch nach der Pandemie keiner mehr auf der Straße leben muss. Spezielle Hotels für Obdachlose zu gründen, ist eine viel schlauere Lösung.

Sie gehen als davon aus, dass die meisten Obdachlosen das Angebot annehmen.

Das wollte auch die Senatsverwaltung wissen, daraufhin haben wir eine Umfrage auf der Straße gemacht. Zehn Leute haben abgewunkenn, 77 signalisierten, dass sie das annehmen wollen. Die Situation ist eine ganz andere als bei der Kältehilfe. Die Menschen sorgen sich, sie haben Angst vor einer Ansteckung, und die Veränderungen, die sie gerade erleben, also dass wir hier abends eine richtige Geisterstadt haben, setzen psychisch noch mal einen drauf.

Werden denn die vorhandenen Notübernachtungen zurzeit noch genutzt?

Viele sind mittlerweile heruntergefahren worden, oder die Belegung wurde ausgedünnt, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Es ist aber nicht so, dass die Unterkünfte pauschal von den Gesundheitsämtern geschlossen worden wären. Die Sozialverwaltung hat den Trägern vermittelt, dass jede Einrichtung selbst entscheiden muss, wie sie mit dem Problem am besten umgeht. Wie gesagt: Die beste Versorgung ist jetzt ein Bett in einem eigenen Zimmer und eine eigene Toilette – das können Hotels und auch viele moderne Jugendherbergen bieten.

Ist eigentlich die gesellschaftliche Solidarität in dieser Ausnahmesituation gewachsen? Ich habe zumindest in meinem Umfeld beobachtet, dass Obdachlosen, die betteln, im Moment eher etwas gegeben wird.

Ich weiß ich nicht, ob man das generell sagen kann. Letzten Freitag haben wir 300 Essen am Boxhagener Platz ausgegeben, der Bedarf ist also nicht geringer geworden. Die ganze Hilfsstruktur ist ja mittlerweile zusammengeschmolzen, oft stehen die Menschen vor geschlossenen Türen. Ihre Beobachtung will ich aber nicht in Abrede stellen – es gibt durchaus große Hilfsbereitschaft, auch von Unternehmen. Gerade sammeln wir Essenstüten bei Supermärkten ein und von den Berliner Wasserbetrieben haben wir zehntausend Liter Wasser in sogenannten Notfallbeuteln erhalten. Obdachlose fragen uns jetzt vermehrt nach Wasser, weil viele Orte, an denen sie sich sonst waschen können, nicht mehr zugänglich sind.

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