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Massaker unter elektronischen Augen

■ Ein Video belegt: Als israelische Artillerie ein UN-Camp im Südlibanon bombardierte, flog über dem Gebiet ein israelisches Aufklärungsflugzeug. Israels Regierung beteuert: Die Kameras waren abgeschaltet

Jerusalem/London (dpa/taz) – Eine Videokassette bringt Israels Militärs in Bedrängnis. Das von einem UN-Soldaten aufgenommene Amateurvideo stützt Anschuldigungen, israelische Artilleristen hätten am 18. April wissentlich ein UN-Camp im Südlibanon angegriffen. Bei dem Beschuß waren nach unterschiedlichen Angaben zwischen 94 und 102 libanesische Zivilisten getötet worden, die in dem Camp Schutz gesucht hatten. Timor Goksel, Sprecher der Unifil-Truppen im Südlibanon, sagte telefonisch aus dem Unifil-Hauptquartier in Nakura, das Video beweise, daß nicht, wie von Israel behauptet, zwei fehlgeleitete Geschosse die Stellung getroffen hätten. Vielmehr seien mehrere „offenbar gezielte Salven“ in der Stellung eingeschlagen, insgesamt etwa 15 Geschosse.

Goksel sagte, das Video widerlege zudem die frühere israelische Behauptung, zur Zeit des Angriffes sei kein unbemanntes Aufklärungsflugzeug der Israelis über dem Ort im Einsatz gewesen. Über sogenannte Drohnen steuert die israelische Artillerie oft den zielgenauen Beschuß. Das Video, das von der britischen Zeitung The Independent beschafft wurde, zeigt klar eine Drohne am Himmel. Am Sonntag abend hatten israelische Militärs erstmals eingeräumt, eine Drohne habe sich über dem Gebiet befunden. Allerdings, sagte Matan Wilnai, stellvertretender israelischer Generalstabschef, sei sie „in anderer Mission unterwegs“ gewesen und zudem wegen schlechter Sicht abgezogen worden.

Auf Journalistenfragen wiederholte der israelische Regierungssprecher Uri Dromi gestern mehrfach, man habe der Darstellung vom Sonntag abend nichts hinzuzufügen. Der Beschuß der UN- Stellung in Kana sei ein „tragischer Zwischenfall“, für den aber nicht Israel, sondern die Hisbollah die Schuld trage. Nach israelischer Darstellung hat israelische Artillerie auf Anforderung eines hinter den Linien operierenden und von Hisbollah-Leuten beschossenen Trupps israelischer Soldaten das Feuer eröffnet.

Der Independent berichtete gestern, nach israelischen Angaben seien die Kameras der Drohne über Kana nicht eingeschaltet gewesen. Israelische Militärs hatten am Sonntag auch eingeräumt, die UN-Stellung sei auf ihren Karten falsch eingetragen gewesen. Der Independent zitierte dazu jedoch einen UN-Informanten aus dem Südlibanon mit der Aussage: „Sie haben vor dem Massaker eine Woche lang Drohnen über Kana fliegen lassen. Und selbst wenn sie angenommen hätten, daß keine Zivilisten in dem Lager waren – obwohl wir ihnen mitgeteilt hatten, daß dies der Fall war –, hätten sie dann annehmen dürfen, daß es legitim sei, einen Militärstützpunkt der UN zu bombardieren?“

Zu israelischen Vorwürfen, die UN müßten sich fragen lassen, warum Hisbollah-Kämpfer nach dem Beschuß israelischer Soldaten in Kana in die UN-Stellung flüchten konnten, erklärte Goksel, dies werde untersucht.

Unterdessen dringen aus dem UN-Hauptquartier in New York Berichte, wonach die US-Regierung versucht, die Veröffentlichung des UN-Untersuchungsberichtes zu dem Massaker von Kana zu verhindern. Der Bericht war von dem niederländischen General Frank van Kappen im Auftrag von UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali verfaßt worden. Der Rapport, der auch der israelischen Regierung vorgelegt wurde, ist immer noch geheim.

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