: Marx und Markt
Was ist eigentlich Marktwirtschaft (3.Teil) ■ 1*1 der Marktwirtschaft
Marx analysierte nicht die Marktwirtschaft als solche, sondern den Kapitalismus. Der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft, die sich im 19.Jahrhundert entfaltete, war für ihn das Kapital, der nach Verwertung drängende abstrakte Reichtum. Die Ökonomie des Marktes bezeichnete er als „abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise“.
Ob diese allgemeinste Form, die Marktwirtschaft, zwangsläufig mit dem Kapitalismus zusammenfällt oder ob sie auch mit anderen gesellschaftlichen Verhältnissen in Einklang gebracht werden kann - das war für ihn kein Thema.
Dennoch setzte Marx mit seiner Kritik an der Warenproduktion an. Hier entdeckte er einen elementaren Widerspruch: Durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung wurde die Arbeit des einzelnen Teil der gesellschaftlichen Arbeit, aber sie wird in Form von Privatarbeit verausgabt.
Erst wenn der Produzent mit seiner Ware auf dem Markt ist, stellt er fest, ob die Gesellschaft ein Bedürfnis nach seinen Erzeugnissen hat, ob die von ihm geleistete Arbeit gesellschaftlich anerkannt wird. „Die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehung, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt.“
Die Beziehungen der Produzenten werden mithin durch den Austausch ihrer Waren, also von Dingen geprägt. Hier ortete Marx den entscheidenden Knackpunkt für die gesellschaftliche Entfremdung im Kapitalismus: „Ihre eigene gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“
Daß der Markt die Wirtschaftsbeziehungen kontrolliert, und nicht umgekehrt, ist mittlerweile vielen zur Selbstverständlichkeit geworden: Die Preisverhältnisse des Marktes bestimmen Produktionsstrukturen, Einkommensverteilung, technische Entwicklungen, Arbeitsbedingungen und -löhne. Und die von Marx in sehr abstrakter Form herausgearbeitete Kontrolle der Gesellschaft durch die Bewegung von Sachen hat längst eine populäre Variante: den Sachzwang.
Der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi sah hier den wesentlichen Unterschied zwischen marktwirtschaftlichen Systemen und allen vorhergehenden Gesellschaften, in denen die Märkte auf die Wirtschaftsweise keinen nennenswerten Einfluß hatten. Sie wurden statt dessen von der Gesellschaft kontrolliert. „Während Geschichte und Völkerkunde verschiedene Wirtschaftsformen kennen, von denen die meisten die Einrichtung von Märkten enthalten, kennen sie keine Wirtschaft vor der unseren, die auch nur annähernd von Märkten beherrscht und geregelt worden wäre.“
Gabriela Simon
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