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Marmor, Stein und Eisen bricht

In Iserlohn ist Eishockey nach wie vor ein Renner, und nach dem Konkurs des ECD plus Zwangsabstieg nimmt jetzt der umbenannte „ECD Sauerland“ Kurs auf die höchste Spielklasse  ■  Aus Iserlohn Peter Mohr

Kein Zweifel, der skandalgeplagte Eishockey-Zweitligist ECD Sauerland hat nicht an Zugkraft verloren. Die Heimspiele gleichen einem Volksfest, die Stimmung auf den Rängen ist allenfalls mit der an der Düsseldorfer Brehmstraße vergleichbar. Dabei bietet das renovierungsbedürftige Eisstadion am Seilersee gerade einmal Platz für 3.700 Zuschauer. Die Nachfrage ist weitaus größer, so daß nicht selten weit über 4.000 Zuschauer - zusammengepfercht wie Sardinen - die Siege des wiedergenesenen Clubs bejubeln.

Als der Tabellenführer vor einer Woche standesgemäß den Tabellensiebten EHC Hamburg mit 10:4 vom Eis fegte, signalisierten die Kassierer bereits 30 Minuten vor Spielbeginn: Ausverkauft. Aus Sicherheitsgründen mußten einige hundert Fans enttäuscht den Heimweg antreten. Mit den Behörden liegt der ECD ohnehin in Clinch. Der Verein fordert seit einigen Jahren vergeblich eine Modernisierung des Stadions; im Gegenzug nimmt man es dann nicht so genau mit der vom Ordnungsamt vorgeschriebenen Zuschauerzahl.

Grund zum Jubel gab es nicht immer in den letzten beiden Jahren. Vor knapp zwei Jahren war die Existenz des damaligen Erstligisten ECD Iserlohn ernsthaft gefährdet. Fast sechs Millionen Mark Schulden drückten das Team aus dem Märkischen Kreis. Als Präsident Heinz Weifenbach - nach vergeblichen Versuchen mit der ortsansässigen Industrie - einen Werbevertrag für das „Grüne Buch“ Ghadafis als Rettungsanker präsentierte, schritten der damalige Bundesinnenminister Zimmermann und die Riege der bayerischen Eishockey -Spitzenfunktionäre ein und verweigerten ihr Plazet. Dann ging am Seilersee alles blitzschnell, das Konkursverfahren wurde eröffnet und im Handumdrehen hatte die Bundesligakonkurrenz das juristische Vakuum ausgenutzt und aus der Konkursmasse des Bundesligakaders die Rosinen herausgepickt. Jaroslav Pouzar, Bruce Hardy und Mike Bruce wechselten - ohne daß der ECD einschreiten konnte - nach Rosenheim, Düsseldorf und Freiburg.

„Jetzt erst recht“

Es folgten die Umbenennung des Clubs in ECD Sauerland - aus juristischen Gründen - und der mühsame vom Verband verordnete Neuanfang in der Oberliga. Ungebrochen war jedoch der Zuschauerzuspruch. Nach dem Motto „Jetzt erst recht“ strömten die Fans weiter in Scharen ins Stadion, und viele Iserlohner Bürger machten aus Solidarität von dem Angebot Gebrauch, für fünf Mark Jahresbeitrag Mitglied des ECD zu werden. In der schweren Anfangszeit in den Niederungen der Oberliga bot das lautstarke Publikum der Mannschaft großen moralischen Rückhalt. „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber der ECD Sauerland nicht“ wurde der Ohrwurm unter den Schlachtrufen der ECD-Fans.

Die Begeisterung erreichte einen vorläufigen Höhepunkt, als im Frühjahr 1989 der Aufstieg in die 2.Bundesliga geschafft wurde. Nun standen die Verantwortlichen um den schwergewichtigen, schnauzbärtigen Präsidenten Heinz Weifenbach vor einer Gewissensfrage: Sollten sie weiter dem eigenen Nachwuchs vertrauen oder aber durch gezielte Investitionen den schnellen Wiederaufstieg ins Oberhaus anstreben? Man entschied sich - nicht zuletzt aus Prestigegründen - für den zweiten Weg und verpflichtete den 51jährigen ehemaligen tschechoslowakischen Nationalspieler Josef Golonka als Trainer. Ein Kenner der deutschen Eishockeyszene, ein erfolgsbesessener Coach, der 1984 den Kölner EC zum Titel geführt hatte.

Er übernahm das Traineramt vom 33jährigen Peter Gailer, der die Sauerländer als Spielertrainer in die 2. Liga geführt hatte. Auch auf dem Spielermarkt wurden die Iserlohner im letzten Sommer aktiv und verpflichteten mit Torwart Norbert Scholz und Greg Evtushevski (beide EC Bad Nauheim), Ben Doucet (Duisburger SC) und Rückkehrer Dieter Brüggemann (Westfalen Dortmund) Akteure, die zusammen mit dem 34maligen Ex-Nationalspieler Gailer, der inwischen allerdings nach Differenzen mit Trainer Golonka zum Kölner EC wechselte, und Steve McNeill auf Anhieb zu den Leistungsträgern zählten.

Die Bilanz der laufenden Zweitligasaison liest sich hervorragend. Mit fünf Punkten Vorsprung führt der wiedergenesene Neuling in der Tabelle und verfügt gleichzeitig über den torgefährlichsten Angriff und die sicherste Abwehr der Liga. Die 16tägige Weihnachtspause hat Golonka dazu genutzt, an der Feinabstimmung in seinen Angriffsreihen zu feilen. „Wir müssen doch unsere Zuschauer begeistern, und deswegen müssen wir auch attraktives Eishockey spielen.“ Sein Hauptaugenmerk galt der Integration der beiden Neuzugänge Gordon Blumenschein (er kam vom aufgelösten Nachbarn Westfalen Dortmund) und Martin Hinterstocker. Vor allem vom 35jährigen Routinier Hinterstocker erhofft sich Golonka eine zusätzliche Angriffs -Verstärkung. Dem 99fachen Nationalspieler fehlt jedoch nach einer dreimonatigen Zwangsapuse, bedingt durch Ablösestreitigkeiten mit Ex-Club ESV Kaufbeuren, noch die Spielpraxis. Das Ziel der Iserlohner ist klar umrissen: Aufstieg in die erste Liga. Nach Ablauf der Zweitligasaison müssen sich die Iserlohner in einer Sechserrunde qualifizieren. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge werden sie sich mit dem Duisburger SC, SV Bayreuth, EHC Nürnberg und den beiden Schlußlichtern des Oberhauses (derzeit EHC Freiburg und EV Landshut) um die zwei freien Erstligaplätze auseinandersetzen müssen. Das treue Iserlohner Publikum hätte den Aufstieg in jedem Fall verdient, und das Team von „Joschi“ Golonka scheint auch das Zeug dafür zu haben. Die nostalgische Ruine des Eisstadions am Seilersee würde dann vermutlich aus allen Nähten platzen.

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