Marihuana-Referendum in Kalifornien: Grün ist die Hoffnung
In Kalifornien wird am Dienstag über den "Vorschlag 19" abgestimmt. Die Chancen stehen gut, dass Cannabis künftig als Entspannungsmittel legal verkauft werden darf.
OAKLAND taz | Muffins, Bonbons und Drinks sind die Spezialitäten von Angel Carter. Sie stellt sie in ihrer Küche her - und gibt überall eine Dosis Cannabis dazu. Bislang ist es ein Hobby. Aber es soll keins bleiben. Carter hat betriebswirtschaftliche Kurse über das Geschäft mit Cannabisprodukten besucht. Und hospitiert an der auf Marihuana spezialisierten "Oaksterdam University".
Falls die KalifornierInnen heute dem "Vorschlag 19" zustimmen, will Angel Carter hauptberuflich in das Gewerbe mit antörnenden Delikatessen einsteigen. "Sobald ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene, hänge ich den Job als Grafikdesignerin an den Nagel", sagt die 49-Jährige.
"Vorschlag 19" ist ein Referendum. Es findet heute -gleichzeitig mit den Wahlen für Gouverneursposten, Repräsentantenhaus und Senat und parallel zu anderen Referenda - im Bundesstaat Kalifornien statt. Ziel ist es, Marihuana auch für "Erholungszwecke" zuzulassen. Erwachsene über 21 Jahren hätten dann das Recht, 28,34 Gramm (1 ounce) Cannabis zu besitzen und selber Cannabis anzubauen. Letzteres auf einer Fläche von maximal 8,7 Quadratmetern (25 square feet) - zum Beispiel auf einem Balkon.
Nach jüngsten Umfrageergebnissen hat "Vorschlag 19" eine mehr als 40-prozentige Chance angenommen zu werden. Damit würde Kalifornien, das im Jahr 1996 als erster Staat der USA Marihuana für medizinische Zwecke zugelassen hat, die Prohibition von Marihuana beenden.
In Oakland, auf der Ostseite der großen Bucht - direkt gegenüber von San Francisco - herrscht Aufbruchstimmung. Die Stadt hat eine lange Geschichte mit sanften Drogen und alternativen Lebensformen, und sie rangiert mit ihrer Umweltpolitik in der Top-Ten-Liste der "grünsten Gemeinden" der USA. Schon jetzt befinden sich vier große Marihuana-Ausgabestellen in Oakland. Die Kunden kommen mit kleinen dunklen Papiertüten aus dem Ausgang.
Wer in einem "dispensary" Marihuana kaufen will, muss am Eingang ein Rezept vorlegen. Diese werden von Ärzten ausgestellt. Für jede beliebige Erkrankung - von Krebs bis zur Nackenverspannung.
In Oakland sind die "dispensaries" ein Wirtschaftsfaktor. Im vergangenen Jahr haben sie Cannabis im Wert von 28 Millionen Dollar verkauft und entsprechend hohe Steuern an die Stadt gezahlt. Falls "Vorschlag 19" durchkommt, hofft die Stadt auf weitere Steuereinnahmen. Sie plant die Zulassung von vier großen Marihuana-Treibhäusern. Die Lizenzen für die Betreiber und die Verkaufssteuern für Cannabis sollen zusammen 13 Millionen Dollar für Oakland ergeben. Das wäre fast genug Geld, um die 80 Polizisten, die die hoch verschuldete Gemeinde im letzten Jahr entlassen hat, wieder einzustellen.
Am Eingang zur Oaksterdam University am Broadway hängt das Poster der Unterstützer von "Vorschlag 19". Eine Woche vor der Abstimmung haben sie eine Spende von dem Milliardär George Soros erhalten. Er schickte ihnen 1 Million Dollar. Seither sind die Argumente der Initiatoren auf allen Radiowellen zu hören. Sie begründen "Vorschlag 19" nicht mit Genussgewinn, sondern mit zusätzlichen Steuereinnahmen und mit den Jobs, die entstehen würden. Inmitten einer Wirtschaftskrise sind solche Dinge von Gewicht.
"Der schwarze Markt wird verschwinden", glaubt David Alonso, "stattdessen wird mehr Marihuana legal und hier, in Kalifornien, angebaut werden." Der 29-Jährige kam vor acht Jahren mit Schmerzen während einer Chemotherapie zu Cannabis: "Die einzige Medizin, die mir hilft". Er arbeitet als Dozent an der Oaksterdam-Universität. An diesem Abend erklärt er 30 Schülern, was sie beachten müssen, wenn sie ein "medical dispensary" eröffnen. David Alonso rät zu Videoüberwachung, zu Sicherheitsleuten, und zu Alarmanlagen.
Die Schüler haben 650 Dollar bezahlt, um an dem 16-wöchigen Kursus teilzunehmen. Manche sind als Kinder von Hippies aufgewachsen und haben von klein auf Cannabis gekannt. Andere sind erst später zu der Droge gekommen. Zum Beispiel der 30-jährige Rhett Lohse, der bei einem Motorradunfall ein Bein verloren hat und seinen Phantomschmerz seither kiffend bekämpft. An diesem Abend prüft Rhett Lohse die Reifung der sechs verschiedenen Cannabis-Sorten, die unter Kunstlicht in einem kleinen Raum der Universität stehen.
Fast alle Schüler sehen in Cannabis eine berufliche Zukunft. "Es wird genug Arbeit für alle geben", ist die Noch-Grafikdesignerin Angel Carter überzeugt. Die kommende Konkurrenz fürchtet sie nicht. "Ich werde mein eigenes Cannabis anbauen", sagt sie, "da bleibe ich unabhängig."
In dem dicht bewaldeten Humboldt County, 200 Kilometer nördlich von San Francisco, sehen manche Marihuanazüchter das anders. Sie bauen seit Langem Marihuana an, "für medizinische Zwecke". Seit einigen Jahren beobachten sie, wie die Landpreise in ihrer Region ansteigen und neue Investoren kommen. Die Züchter befürchten, dass bei einer Legalisierung von Cannabis größere Unternehmen den Markt übernehmen und sie verdrängen könnten. Auch die Preisentwicklung von Cannabis macht ihnen Sorgen. Gegenwärtig kostet ein Pound (454 Gramm) Cannabis in Kalifornien 3.000 Dollar. Dieser Preis dürfte in Zukunft niedriger werden.
Schützenhilfe bekommen die Befürworter von "Vorschlag 19" hingegen von polizeilicher Seite. "Das Marihuanaverbot ist wie die Alkoholprohibition der 20er und 30er Jahre", sagt Polizist Anthony Miranda, "damals haben die Kennedys und Al Capones viel Geld verdient. Heute sind es die Drogenkartelle." Der Vorsitzende der Vereinigung von Latino-Polizisten und andere KollegInnen haben eine Studie über die Verfolgung von Drogenhandel und -besitz in Kalifornien in Auftrag gegeben. Sie zeigt, dass in den letzten 20 Jahren in Kalifornien 850.000 Menschen wegen kleiner Mengen Marihuanas in Haft gekommen sind, darunter überproportional viele Latinos und Afroamerikaner. Anthony Miranda: "Wenn der Staat Marihuana legalisiert, können die Polizisten sich auf die Verfolgung von gewalttätigen Verbrechen konzentrieren."
Ähnlich argumentiert der frühere Polizeichef von San Jose. Joseph Mc Namara wirbt mit einem TV-Spot für "Vorschlag 19". "Seien wir ehrlich: Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert", sagt der alte Mann, "Jugendliche kommen leichter an Marihuana als an Bier." Eine Legalisierung werde "die Drogenkartelle aus dem Geschäft verdrängen".
Mehrere lateinamerikanische Präsidenten, darunter die Staatschefs der beiden Länder, die den härtesten Drogenkrieg führen, Kolumbien und Mexiko, bestreiten das. Sie beklagen gegenüber Washington, dass das kalifornische Referendum ihren Kampf gegen die Drogen untergrabe. Vertreter der US-Regierung geben den lateinamerikanischen Politikern recht. Das US-Justizministerium hat angekündigt, dass es Marihuana weiterhin als illegale Droge betrachten wird, ganz egal, wie die Kalifornier heute abstimmen.
In Kalifornien beeindrucken solche Drohungen nicht. Ältere Kiffer erinnern sich an 1996, als nach der Legalisierung von Marihuana für medizinische Zwecke ähnliche Töne aus Washington kamen. Michael Parker, Gärtner und Cheflaborant von der Oaksterdam University, versteht auch das neue Referendum wieder als Vorbild für den Rest der USA.
Der 49-Jährige trägt einen langen weißen Bart und einen hauchdünnen Zopf. Er kifft seit seiner Jugend. Er glaubt, dass künftig grosse Unternehmen Cannabis in Kalifornien anbauen werden. Schon bald werde kein Import von Cannabis mehr nötig sein. Und er kann sich vorstellen, dass Kalifornien eines Tages sogar zum Cannabisexporteur wird.
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